Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) überraschte mit Erinnerungslücken.

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"Wer Gernot Blümel im Netz als ‚Du korruptes AL‘ bezeichnet, wird jetzt von uns geklagt", verkündete ÖVP-Anwalt Werner Suppan vor zwei Monaten im Interview mit dem "Falter".

Obwohl es keinen Grund gab, an diesen Worten des schon mit seinen routinemäßigen Anfragen bei der Staatsanwaltschaft zu eventuellen Ermittlungen gegen türkise Politiker verblüffenden Advokaten zu zweifeln, hat die erste Umsetzung des Vorsatzes doch überrascht.

In der unlängst von Suppan im Namen des Finanzministers geklagten Äußerung ist nämlich keine Rede von einem "korrupten AL" (vermutlich wären die Interpretationen "ALuminium", "Anti-Liberaler" oder "Alt-Linker" nicht anerkannt worden). Stattdessen werden Blümel und seine Partei als "vergesslich oder korrupt" bezeichnet. Ein juristisch originelles Erstinstanzurteil hat den für die auf Twitter gepostete Meinung verantwortlichen Pensionisten tatsächlich zu einer Geldstrafe verurteilt.

Erstaunliche Klage

Noch erstaunlicher ist aber die Klage selbst. Gerade im Fall von Gernot Blümel kann nämlich die Beantwortung der Alternativfrage "vergesslich oder korrupt?" als Argument gegen Korruptionsvorwürfe dienen. Denn – was immer man sonst von Blümels Fähigkeiten halten mag – in einem Punkt wirkt er unübertrefflich: Er ist ein Gigant der Vergesslichkeit.

Um das ganze Ausmaß dieser Spezialbegabung zu erfassen, gilt es zunächst seine diesbezüglich beeindruckenden Auftritte vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu würdigen.

Egal ob bei Fragen nach seinem Laptop oder nach Vertretern der Novomatic, die, im Konnex mit Spenden, Wünsche vorgebracht und mit Blümel persönliche Kontakte hatten, an die er sich einfach nicht mehr erinnern kann – Blümels Gründlichkeit beim Vergessen ist atemberaubend.

Absolute Höchstleistung

Seine absolute Höchstleistung gelang ihm im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit für den von Michael Spindelegger zur finanziellen Unterstützung von ÖVP-Wahlkämpfen gegründeten "Heimatverein ProPatria".

Am 29. 3. 2006 wurde Blümel von der "ProPatria"-Generalversammlung zum Schriftführer gewählt und am 9. 4. 2008, am 15. 4. 2009, am 7. 4. 2010 und am 24. 3. 2011 in dieser Funktion bestätigt. Am 26. 2. 2013 wurde er sogar zum Kassier ernannt, am 18. 3. 2014 und am 19. 3. 2015 wiederbestellt, bevor er am 4. 4. 2016 sein Amt zurücklegte.

Neun Termine – und alle hat der "Tu es für mich"-Minister vergessen! "Blümel betonte, lediglich in den Anfangszeiten von ‚ProPatria‘, 2004, als Student und vor seiner beruflichen Tätigkeit dort ehrenamtlich engagiert gewesen zu sein", schreibt der "Kurier", und Blümel ergänzt: "Jedwede spätere Aktivität kann ausgeschlossen werden." Am 25. 6. 2020 erklärt er dazu unter Wahrheitspflicht vor dem U-Ausschuss: "Genau kann ich mich daran nicht mehr erinnern. Das ist über 15 Jahre her."

Die sich hier offenbarende radikal subjektive Zeitwahrnehmung ist wohl Voraussetzung für diese weltrekordverdächtige Vergessensleistung, mit der er sich den Titel "Amnesie-Legende" verdient hat. In einem Interview mit der "Presse" meint Blümel: "Ich würde alles noch einmal so machen." Denkbar, dass er eine Wiederholung seines bisherigen Lebens gar nicht als solche erkennen würde. (Florian Scheuba, 8.9.2021)