Wenn sich die Präsidenten des westafrikanischen Staatenbunds Ecowas am Donnerstag in Ghanas Hauptstadt Accra versammeln, wird ihr "außerordentliches Gipfeltreffen" alles andere als außergewöhnlich sein. Ähnliche Zusammenkünfte nach einem Coup in ihrer Region kommen in der Hochburg der Staatsstreiche alle paar Monate vor.

Dieses Mal wird es um den Putsch vom Wochenende in Guinea gehen – und schon im Vorfeld steht fest, was die Präsidenten zum sattsam bekannten Thema zu sagen haben werden. Sie werden die Putschisten auffordern, ihren Coup rückgängig zu machen und den festgesetzten Staatschef Alpha Condé freizulassen. Für den Fall der Nichtbefolgung ihres Verlangens werden sie Wirtschaftssanktionen androhen und die Mitgliedschaft Guineas in ihrem Staatenbund aussetzen. Wieder wird keiner von ihnen damit rechnen, dass ihre Drohungen Wirkung zeigen: Dass ein Putsch wieder rückgängig gemacht wurde, kam in der 46-jährigen Ecowas-Geschichte noch niemals vor.

Machterhaltungstrieb

Ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen ist – darüber sind die Meinungen geteilt. Militärcoups sind in einer Welt, in der die Wahl einer Regierung durch das Volk als beste Form der Autorisierung von Machthabern betrachtet wird, grundsätzlich schlecht. So steht es auch in der Ecowas-Satzung – weswegen den Präsidenten gar nichts anderes als eine lautstarke Verurteilung übrigbleibt. Außerdem müssen sie ein ähnliches Schicksal wie Alpha Condés auch für sich selbst befürchten: Ihre Aversion gegen Militärcoups ist allein schon ihrem Machterhaltungstrieb zuzuschreiben.

Putschisten in der guineischen Hauptstadt Conakry.
Foto: imago Images

Schließlich bleibt Westafrikas Regierungschefs auch nicht verborgen, dass in der Politik nicht alles wie aus dem Lehrbuch verläuft. Auch sie wissen, dass der Umsturz in Guinea zumindest nicht allein der Machtgier ein paar verwegener Obristen zuzuschreiben ist: Als die guineischen am Sonntag im Fernsehen die Entmachtung des seit elf Jahren regierenden Condé bekanntgaben, gingen Tausende von Menschen jubelnd auf die Straßen. Bei seiner Wahl zum Präsidenten 2010 waren ebenfalls Tausende von Guineern jubelnd auf die Straße gezogen: Es war das erste Mal, dass in dem 1958 unabhängig gewordenen und inzwischen 13 Millionen Einwohner zählenden Staat ein Präsident durch eine Abstimmung an die Macht gekommen war. Sämtliche Vorgänger Condés hatten sich mit einem Militärcoup in ihr Amt geputscht.

Wirtschaftsboom

Guineas Nelson Mandela, wie er sich gerne nennen ließ, trat mit dem Anspruch auf, dem Volk zu dienen. Er wollte die Bevölkerung eines der ärmsten Staaten aus der Armut befreien und die Demokratie in der Hochburg der Putschisten stärken. Tatsächlich sorgte der mehrmals inhaftierte Oppositionsführer für einen Wirtschaftsboom: Das an Bauxitvorräten reichste Land der Welt vermochte seinen Marktanteil von unter zehn Prozent auf über 22 Prozent zu steigern. Der Haken des Erfolgs: Die Einnahmen aus dem Bauxitexport kamen nicht der Bevölkerung, sondern einer kleinen, politisch gut vernetzten Elite zugute. Mehr als 70 Prozent der Guineer leben nach wie vor unter der Armutsgrenze, die Straßen des Landes lösen sich auf, das Gesundheitswesen knickt unter der Zusatzlast von Ebola und Covid ein.

Trotzdem war Condé nach Ablauf seiner zweiten Amtszeit, die laut Verfassung die letzte sein sollte, nicht nach einem Abtritt zumute. Ob er sich zu gut an sein Präsidentenleben gewöhnt hatte oder von seinen Seilschaften zum Weitermachen gedrängt wurde, bleibt dahingestellt. Gegen die Proteste der Bevölkerung zog der Präsident eine Verfassungsänderung durch: Tausende landeten im Gefängnis oder gar auf dem Friedhof. Damals hätten die Ecowas-Präsidenten "Stopp" rufen müssen: Dass sie es versäumten, macht sie zu Mitverantwortlichen des Coups.

Und der Rest der Welt? Der ist derzeit vor allem über den Preisanstieg von Aluminium besorgt. Der Coup stellt den Nachschub mit Bauxit infrage: Die Putschisten könnten ja auch die Förderungsverträge zu ihren Gunsten verändern wollen. Den Konzernen aus Russland, China oder Europa war bislang egal, ob ihre Zahlungen bei der Bevölkerung ankamen oder in den Taschen einiger Weniger landete. Solange das so ist, sind auch sie für das guineische Fiasko mitverantwortlich. (Johannes Dieterich, 9.9.2021)