Die umstrittene und mittlerweile gelöschte Botschaft, nachgestellt via Tweetgen.com.

Foto: Screenshot/Tweetgen

Am 30. Mai machte der Hamburger Innensensenator Andy Grote (SPD) auf Twitter seinem Ärger Luft. "In der #Schanze feiert die Ignoranz!", empörte er sich über Partys trotz Corona-Beschränkungen. Manche könnten es wohl nicht erwarten, wieder im Lockdown zu sitzen. Er bedankte sich bei der Polizei der norddeutschen Metropole, die "wieder einmal den Kopf [hinge]halten" habe, damit "die Pandemie nicht aus dem Ruder läuft".

Das Echo auf seine Botschaft fiel allerdings wenig freundlich aus. Zahlreiche Nutzer äußerten sich auf sozialen Medien sarkastisch bis beleidigend gegenüber Grote. Einer der Gründe dafür: Grote hatte selbst im Juni vergangenen Jahres eine Feier mit 30 Personen in der Hafencity veranstaltet und dabei Corona-Auflagen gebrochen. "Du bist so 1 Pimmel", schrieb daraufhin der zu einem Lokal von FC-St.-Pauli-Fans gehörende Twitter-Account "Zoo St. Pauli" in bestem Internetslang als Replik.

Hausdurchsuchung bei Ex-Freundin

Die Nachricht, die gemessen an gewohnten Standards von Diskussionen im Netz von vielen wohl als eher harmlos eingestuft werden dürfte, sollte ungeahnte Konsequenzen haben. Sie führte, wie ebenfalls über besagtes Twitter-Konto gemeldet wurde, zu einer frühmorgendlichen Hausdurchsuchung.

Die "Taz" hat die Ereignisse aufgearbeitet. Demnach standen am Mittwoch (8. September) um 6 Uhr früh sechs Polizeibeamtinnen und -beamte vor der Wohnung von Mara K. und erwirkten kraft eines Durchsuchungsbefehls Einlass. Gefahndet wurde in K.s Haushalt, in dem auch zwei kleine Kinder leben, nach jenem Gerät, mit dem der "Pimmel"-Tweet abgesetzt wurde.

Zu finden war dieses dort aber nicht. Denn der Verfasser der Botschaft ist K.s Ex-Freund Marlon P. – er führt gemeinsam mit K. das erwähnte Fanlokal –, der mittlerweile an eine andere Adresse gezogen ist, sich aber noch nicht umgemeldet hatte. P. wiederum gibt sich doppelt überrascht vom Vorgehen der Behörden.

Betroffene sind empört

Nicht nur sei eine Hausdurchsuchung aufgrund so einer Botschaft seiner Ansicht nach nicht verhältnismäßig, sondern er hatte aufgrund dieser Angelegenheit schon Kontakt zur Polizei. Er war bereits einer Vorladung auf eine Dienststelle gefolgt, wo er auch zugegeben hatte, den "Zoo St. Pauli"-Account zu betreiben. Ihm sei dort signalisiert worden, dass mit einer Einstellung des Verfahrens wegen Geringfügigkeit zu rechnen sei.

Auch Mara K. ist sauer. "Was fällt denen ein, wegen so einem Scheiß hier reinzukommen? Haben die nichts Besseres zu tun?", sagt sie der "Taz". Die Behörden sollten sich besser darum kümmern, den Drohungen nachzugehen, denen Frauen wie die Rechtsextremismusexpertin Natascha Strobl im Netz immer wieder ausgesetzt seien.

"Pimmelgate"

Im Netz wird unter den Hashtags "#pimmelgrote" und "#pimmelgate" derweil stark die Verhältnismäßigkeit der Hausdurchsuchung debattiert. Viele Nutzer sehen hier das Vorgehen der Exekutive als überzogen an. Seitens der Hamburger Polizei heißt es, dass bei Beleidigungen im Internet "regelhaft Durchsuchungen vorgenommen" würden.

Besondere Brisanz erhält die Causa auch, weil die Behörden in diesem Fall gar nicht von sich aus tätig geworden sind. Gemäß Durchsuchungsbeschluss wird ein Tatbestand verfolgt, bei dem es sich um ein sogenanntes Antragsdelikt handelt. Betroffene müssen also selbst zur Anzeige schreiten, ehe Ermittlungen aufgenommen werden. Dementsprechend muss also Grote selbst oder ein von ihm beauftragter Vertreter den Vorfall zur Polizei gebracht haben.

Blümel zog gegen Twitter-Nutzer vor Gericht

Klagen von Politikern gegen Twitter-Nutzer gibt es auch in Österreich. So befindet sich Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) in einem Rechtsstreit mit dem Pensionisten Wolfgang P. Dieser hatte ihm in einer Nachricht geschrieben: "Und wenn mich auch der laptoplose Blümel verklagt, diese Partei ist vergesslich oder korrupt."

Das brachte ihm eine Klage wegen übler Nachrede ein. Vor dem Wiener Straflandesgericht wurde er zu einer Geldstrafe in Gesamthöhe von 4.200 Euro verurteilt. Der Richterspruch ist aber nicht rechtskräftig. Direkt nach der Verkündung reichte seine Anwältin Maria Windhager (sie vertritt auch den STANDARD in medienrechtlichen Angelegenheiten) Berufung ein. (gpi, 9.9.2021)