Im "Grauen Haus", dem Landesgericht für Strafsachen Wien, beschäftigt sich ein Schöffensenat mit einem möglichen Betrug rund um Fördergelder für private Wiener Kindergartenbetreiber.

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Wien – Im Herbst 2009 wurden in Wien die beitragsfreien Kindergärten eingeführt. Wovon Eltern in anderen Bundesländern nur träumen können, hat in Wien nun allerdings drei Männer und eine Frau vor ein Schöffengericht unter Vorsitz von Christian Böhm gebracht. Genauer, zwei Männer und eine Frau, denn der Zweitangeklagte hat sich in die Türkei abgesetzt. Der Vorwurf von Staatsanwältin Kerstin Wagner-Haase lautet auf gewerbsmäßigen schweren Betrug: Es sollen zum Schein mehrere Vereine zur Kinderbetreuung gegründet worden sein, für die rund 1,8 Millionen Euro Förderung der Stadt Wien bezogen wurden.

57 Seiten hat die Anklage, Wagner-Haase bemüht sich in ihren Eingangsworten, den Sachverhalt für die Laienrichterinnen kurz zusammenzufassen. Die Magistratsabteilung 10, zuständig für die Wiener Kindergärten, betreibt nicht nur selbst derartige Einrichtungen, sondern fördert auch private Betreiber. Auf zwei Wegen: Trägerorganisationen bekommen eine Anstoßfinanzierung und/oder laufende Förderungen – die vorab ausbezahlt wurden, im Nachhinein musste mittels Rechnungen und Belegen nachgewiesen werden, dass die Beträge ordnungsgemäß verwendet wurden.

Anklägerin glaubt an illegale Pool-Lösung

Was laut Anklägerin nicht passiert sein soll. Sie ist überzeugt, dass Erstangeklagter Abdullah P. eine Vielzahl von Vereinen gründete, bei denen er im Hintergrund die Fäden zog. Die eingesammelten Fördergelder wurden quasi in einen Topf eingezahlt, aus dem sich jeder Verein bediente, auch wenn er eigentlich schon insolvent war. Um das zu verschleiern, seien Urkunden gefälscht worden, ist Wagner-Haase überzeugt, auch um nie betreute Kinder soll es gehen.

Stimmt nicht, kontert der Verteidiger des 37-jährigen Erstangeklagten. "Obwohl er eine Art Paten-Stellung gehabt haben soll, ist er praktisch mittellos", argumentiert P.s Rechtsvertreter. "Er hat kein Auto, lebt in einer Mietwohnung, hat nicht einmal eine ordentliche Zahnprothese!" Der flüchtige Drittangeklagte soll dagegen in seiner Heimat ein Vermögen angelegt haben, versucht der Advokat die Verantwortung weiterzureichen.

Hauptangeklagter zum zweiten Mal vor Gericht

P. stand bereits einmal in einem Teilkomplex dieser Sache vor Gericht, damals wurde er lediglich wegen Urkundenfälschung zu einer bedingten Haftstrafe verurteilt. Vom Vorwurf des Einmietbetrugs wurde der Hauptschulabbrecher, der seinen Abschluss nun an der Volkshochschule nachholen will, damals freigesprochen.

Auch die zweifach vorbestrafte Zweitangeklagte Silvia K., die in dem Konglomerat als Buchhalterin und "Projektleiterin" tätig gewesen sein soll, weist gemeinsam mit ihrem Verteidiger Ernst Schillhammer jede Schuld von sich.

Umso überraschender dann das Eröffnungsplädoyer von Philipp Wolm, der den Viertangeklagten vertritt: Er zieht einen kulinarischen Vergleich. "Die Frau Staatsanwältin hat eine pfannenfertige Anklageschrift serviert. Mein Mandant wird reumütig gestehen, es tut ihm leid. Er hat nicht nur die Fördergelder, sondern auch das Bildungssystem missbraucht."

Strohmann half bei der Aufklärung

Neben dem wichtigen Milderungsgrund des reumütigen Geständnisses führt Wolm noch einen zweiten wichtigen Punkt an: Der Viertangeklagte, der in einem der Vereine als Strohmann agierte, habe selbst im September 2015 eine Sachverhaltsdarstellung gemacht und dabei wichtige Details über die Malversationen verraten. Vor Gericht will er daneben aber keine weiteren Fragen beantworten, nur auf eine des Vorsitzenden gibt es eine Reaktion. "Wie sind Sie dazu gekommen?" – "Es tut mir leid, dass ich auf P. hereingefallen bin", sagt der unbescholtene 38-jährige Arbeitslose, der durch Bürgschaften für den Verein über 100.000 Euro Schulden hat.

Der Prozess gegen den Viertangeklagten kann aufgrund des Geständnisses daher bereits nach eineinhalb Stunden abgeschlossen werden. Er erhält anklagekonform für Untreue mit einem Schaden von über 100.000 Euro acht Monate bedingt, alle Seiten sind damit einverstanden, die Entscheidung ist daher rechtskräftig. Das Verfahren gegen die anderen beiden Angeklagten wird am 2. Dezember fortgesetzt. (Michael Möseneder, 9.9.2021)