An einem Sommertag im Jahr 1995 ändert sich das Leben von Gregor Demblin für immer: Auf seiner Maturareise springt er kopfüber ins griechische Mittelmeer – und wacht Tage später im Wiener AKH auf. Nach einem Jahr intensiven Trainings in Reha-Zentren steht fest, dass er wohl nie wieder gehen können wird. Seither setzt er sich für Inklusion am Arbeitsmarkt ein – und wird nicht müde zu betonen, dass sich das auch finanziell auszahlt. Im STANDARD-Gespräch am Rande des Forum Alpbach erzählt er, warum wir trotzdem an politischen Stellschrauben drehen müssen – und was das mit Klimaschutzmaßnahmen zu tun hat.

STANDARD: Eigentlich sollte es selbstverständlich sein, Menschen mit Behinderung in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Braucht es dafür wirklich ein gewinnorientiertes Unternehmen?

Demblin: In erster Linie geht es uns darum, eine Vision zu verwirklichen. Die kam mir, als ich zum ersten Mal mit dem Rollstuhl auf die Uni gekommen bin. Es macht einen Unterschied, ob du einen Raum mit 1,85 Meter betrittst oder auf der Höhe eines Kindes. Man wird ganz anders wahrgenommen, man wird wieder wie ein Kind behandelt. Die Leute sind sich nicht mehr sicher, was sie zu dir sagen dürfen, vor allem aber wird dir Leistung nicht zugetraut. Mir fällt dieser Unterschied so stark auf, aber Menschen, die mit Behinderung geboren wurden, kennen das nicht anders. Da wurde mir klar, dass ich Verantwortung habe, etwas zu verändern. 15 Prozent der Menschen in Österreich haben eine Behinderung. In vielen Unternehmen ist Behinderung aber nach wie vor ein Tabuthema. Dabei missachten sie, dass 15 Prozent der Bevölkerung ihre Produkte nicht ideal nutzen können, 15 Prozent der Mitarbeiter nicht so effizient arbeiten können. Die Unternehmen lassen richtig viel Geld liegen.

STANDARD: Sie wollen es also Unternehmen finanziell schmackhaft machen, anstatt als Bittsteller aufzutreten?

Demblin: Genau. Wir haben einen sehr wirtschaftlichen Fokus und sehen uns als professionelle Unternehmensberatung. Wir machen Inklusion auf allen Ebenen messbar und leiten daraus eine Strategie ab. Wenn die Unternehmen verstehen, dass sie selbst wirtschaftlich betroffen sind, haben sie einen Riesenhebel. Sie können aus der Wirtschaft heraus die ganze Gesellschaft verändern.

Gregor Demblin gehend im Exoskelett.
Foto: myability

STANDARD: Trotzdem zahlt es sich wohl nicht immer aus. Wären strengere Gesetze notwendig?

Demblin: Es zahlt sich immer finanziell aus. Mittlerweile ist auch bei Aktionärsversammlungen zu beobachten, dass die Leute dort verstärkt nach ökologischen und sozialen Nachhaltigkeitskriterien fragen. Weil das greifbare Dinge sind im Gegensatz zur Bilanzprüfung, die so kompliziert ist, dass sie kaum mehr jemand versteht.

STANDARD: Der Markt preist soziale Nachhaltigkeit aber trotzdem nicht ein.

Demblin: Das Problem ist, dass unser Finanzsystem nur auf Gewinnmaximierung ausgelegt ist. Wir brauchen ähnliche Mechanismen, wie sie aktuell gerade im Klimaschutz diskutiert werden. Lange war es egal, wie viel CO2 ein Unternehmen emittiert, weil externe Kosten nicht eingepreist waren. Erst wenn CO2 einen Preis hat – und das ist übrigens längst überfällig –, gibt es einen Anreiz, nachhaltig zu wirtschaften. Wir müssen auch sozialen Impact, etwa Inklusion, wie CO2 messen. Dann könnten auch Unternehmen, die sich besonders sozial verhalten, konkurrenzfähig sein. Für Klimaauswirkungen haben wir uns auf eine zentrale Messgröße geeinigt: Tonnen CO2. Bei der sozialen Nachhaltigkeit glauben hingegen viele, dass es zu komplex ist, um sie zu messen. Dabei machen wir das jeden Tag.

STANDARD: Wie kann man sie denn messen?

Demblin: Die EU verfolgt mit ihrem Vorschlag für eine "Social Taxonomy" einen sehr spannenden Ansatz: Unternehmen sollen Indikatoren wie Gender Equality, Barrierefreiheit oder Fortbildungsmöglichkeiten melden müssen. Schlechte Werte haben Einfluss auf Finanzierungszinsen, der Einfluss auf die Kunden wäre auch enorm. Aber oft lässt sich soziale Nachhaltigkeit auch direkt messen. Wenn wir etwa eine arbeitslose Person mit Behinderung für 20 Jahre in den Arbeitsmarkt bringen, erspart das dem Sozialsystem rund eine Million Euro. Würde das eingepreist werden, würden wir durch die Decke gehen wie die wertvollsten Tech-Start-ups. Stattdessen werden erfolgreiche Sozialunternehmen oft bestraft, da sie keinen Überschuss erwirtschaften dürfen. Dabei braucht es Risikokapital, um gute Ideen international groß zu machen.

STANDARD: Inwieweit ist Inklusion eine Frage der Dinge, der Hardware, und zu welchem Anteil ist sie Kopfsache?

Demblin: Das Hauptproblem ist, dass 95 Prozent aller Behinderungen nicht sichtbar sind und Unternehmen glauben, dass es sie nicht betrifft, weil sie eh nur drei Rollstuhlfahrer haben und nicht an alle Menschen mit Hör- oder Sehbehinderungen oder chronischen Krankheiten denken. Tabus brechen ist schwierig, für die technische Seite, etwa barrierefreie Gebäude oder Websites, gibt es oft einfache Lösungen.

STANDARD: Werden neue Technologien diese Lösungen in Zukunft vereinfachen?

Demblin: Die Entwicklung geht unheimlich schnell, wir sehen etwa schon künstlich gezüchtete Linsen, mit denen Blinde wieder sehen können, oder Implantate, mit denen Gehörlose wieder hören können. Ich bin überzeugt, dass sich der Begriff Behinderung durch technologische Entwicklungen in den nächsten zehn Jahren komplett verändern wird. Viele Behinderungen werden keine mehr sein, weil sie durch technische Hilfsmittel kompensierbar sind. Die Ärzte haben mir damals nach meinem Umfall gesagt, dass man in 15 Jahren Querschnittslähmung operativ lösen kann, heute sind es immer noch 15 Jahre. Jetzt kommt die Lösung aus der Technologieecke: Ich habe selbst Exoskelette probiert und bin ein paar Schritte gegangen. Ich war so begeistert, dass ich mit Partnern ein hochmodernes Therapiezentrum aufgebaut habe, wo wir diese Therapie anbieten. Momentan sind die Geräte noch sehr teuer, aber ich bin mir sicher, dass sie eines Tages günstig sein und, in der Masse produziert, den Rollstuhl ersetzen werden. Meine Vision ist, in zehn Jahren mit meinen Buben auf einen Berg zu gehen. Ich glaube fest daran, dass es geht. (Philip Pramer, 13.9.2021)