Christine Lagarde, die Chefin der Europäischen Zentralbank (EZB), muss den Verstand verloren haben. Auf den ersten Blick lässt die Entscheidung der EZB vom Donnerstag, im Wesentlichen bei ihrer ultralockeren Geldpolitik zu bleiben, keinen anderen Schluss zu. Die Inflation in der Eurozone ist auf 2,2 Prozent geklettert, liegt also bereits über dem Zielwert der Zentralbanker. In Österreich und Deutschland liegt die Teuerung sogar bei über drei Prozent. Wieso handeln Lagarde und die EZB-Führung also nicht?

Christine Lagarde, die Chefin der Europäischen Zentralbank (EZB).
Foto: AFP/DANIEL ROLAND

Sie haben bei genauerem Hinsehen gute Gründe. Die Wirtschaft erholt sich zwar kräftig, die tiefen Spuren der Corona-Krise sind aber immer noch sichtbar. Die Arbeitslosenquote im Euroraum liegt noch über dem Vorkrisenniveau, viele Wirtschaftssektoren wie Hotellerie, Gastgewerbe und Flugverkehr sind bleibend angeschlagen. Zugleich wird der aktuelle Preisanstieg stark von Einmaleffekten wie der Verteuerung von Rohöl in der ersten Jahreshälfte angetrieben.

Nun die Zinsen steigen zu lassen würde die Kreditaufnahme für Unternehmen verteuern. Das Risiko, das Wachstumspflänzchen austrocknen zu lassen, wäre groß. 2011 hat die EZB unter Jean-Claude Trichet genau diesen Fehler gemacht: Damals hob sie die Zinsen an, weil die Inflation anstieg. Kurz darauf krachte die Konjunktur in der Eurozone, die EZB musste den Kurs um 180 Grad ändern; sie wirkte erratisch. Aus diesen Fehlern haben Lagarde und ihre Kollegen gelernt. (András Szigetvari, 9.9.2021)