Provisorium in der Pandemie: Im Lager Kara Tepe sind 24 Personen in Quarantäne, 700 bereits geimpft.

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NGOs machten auch in Wien auf die Lage in Kara Tepe aufmerksam.

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Die junge Künstlerin aus Kabul hat Ahmad Massoud, den Widerstandskämpfer in der Provinz Panjshir, erst kürzlich in deutlichen Acrylfarben verewigt und stellt das Kriegsgemälde, nun draußen an ihrer Zeltwand, zur Schau. Sie fiebert mit ihrem Helden mit, und so wird die aktuelle politische Situation in Afghanistan auch im größten Flüchtlingslager von Lesbos, in Kara Tepe, verarbeitet.

Über 70 Prozent der Leute hier kommen aus Afghanistan, zehn Prozent aus Somalia, sechs Prozent aus dem Kongo und fünf Prozent aus Syrien. 3.123 Menschen leben in dem Lager Kara Tepe am Meer, nur mehr ein Viertel der Anzahl derer also, die vor genau einem Jahr Zuflucht suchten, weil das Lager Moria im Landesinneren von Jugendlichen in Brand gesetzt und vollständig zerstört worden war.

Die Kinder von Kara Tepe.
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Wie durch ein Wunder kam damals niemand ums Leben oder wurde verletzt. Doch 12.000 Menschen wurden über Nacht obdachlos, und Kara Tepe wurde aus dem Boden gestampft. Moria, ein jahrelang gewachsener Slum, in dem Menschen in selbstgebauten Verschlägen aus Paletten und Plastikplanen an den Olivenhainen hausten und sich in Lehmgruben ihr Brot buken, ist Vergangenheit.

Wüstenhafte Zeltstadt

Kara Tepe ist hingegen eine wüstenhafte Baustelle, eine riesige Zeltstadt, die aber mittlerweile leer wirkt. Bagger schütten Wälle auf, Rohre werden verlegt, die Wasser- und Abwasserversorgung wird gerade an die Stadt Mytilini angeschlossen. Reihen mit windschiefen, bunten Dixi-Toiletten sind zu sehen, darauf steht manchmal "Frauen" und einmal "Polizei". Aus den Abwasserkanälen riecht es übel. Die Septembersonne ist noch heiß, und nur wenige hier können schwimmen und das Meer, ein paar Meter weiter unten, nutzen. Manche haben es sich "eingerichtet" – ein Verschlag wird als Friseursalon genutzt, einige Männer treffen sich zum Gebet auf roten Teppichen unter einer Steinmauer.

Auch sie waren vor einem Jahr aus den Flammen in Moria geflüchtet. Ein Gericht hat in der Causa im Juni vier junge Afghanen wegen Brandstiftung zu zehn Jahren Haft verurteilt. Die Männer wollten mit dem Feuer vor allem gegen die Covid-19-Maßnahmen protestieren – einige von ihnen waren nämlich zuvor in Quarantäne geschickt worden und fühlten sich ihrer Freiheit beraubt.

Karge Kindheit.

Sanitäre Probleme

In den ersten Wochen und Monaten gab es dann in Kara Tepe viel zu wenige Sanitäranlagen, im Winter drang Wasser in Zelte ein. Heute lebt noch etwa ein Drittel in Zelten, viele aber in Containern. Polizeiwagen kurven um die Ecke – das soll Sicherheit vermitteln. Die Regierung unter dem konservativen Premier Kyriakos Mitsotakis wollte die Vernichtung von Moria für einen Neuanfang in der Migrationspolitik nutzen. Abschreckende Lager sollten der Vergangenheit angehören und neue Aufnahmezentren gebaut werden. "Wir wollen dieses Problem in eine Chance verwandeln", sagte Mitsotakis damals.

Auf Lesbos hat man mit dem Bau des neuen Zentrums ein Jahr später aber noch nicht begonnen – bis 2022 soll es fertig sein. Doch nach dem Brand wurde die Versorgung der Flüchtlinge schrittweise aufs Festland ver lagert. Die lokale Bevölkerung auf den Inseln murrte schließlich schon seit Jahren.

Heute ist das Lager Kara Tepe kein Ort des Aufbruchs mehr, wo das neue Leben beginnen kann, sondern eine Wartestation für die Übriggebliebenen. Das ist auch zu spüren. Etwa die Hälfte der Leute, 1450 Personen, sollten schon vor Monaten in die Türkei zurückgebracht werden, weil ihre Asylanträge abgelehnt wurden. Doch in Ankara stellt man sich trotz des Abkommens mit der EU taub. Die anderen warten noch auf Bescheide, viele haben bereits zwei Absagen bekommen.

Tagesbetreuungsstätte in Mytilini

Aus einer dieser Familien kommt Arash M., ein 13-jähriger Afghane. Er spricht bereits so gut Griechisch, dass er nun in die Volksschule gehen kann. Arash besucht seit eineinhalb Jahren die Tagesbetreuungsstätte von SOS-Kinderdorf, die nun vom österreichischen Außenministerium finanziert wird. Kostenpunkt bis Juni dieses Jahres: 152.000 Euro. Neben dem Park sieht man Kinder auf bunt bemaltem Asphalt in einem Hof hüpfen. "Sie brauchen eine Umgebung, in der sie sich sicher fühlen, das Camp ist kein guter Platz für sie", erzählt die Betreuerin Victoria Dimou.

Jeweils eine Gruppe mit 50 bis 60 Kindern wird am Vormittag und eine andere am Nachmittag mit Bussen hierhergebracht. Auch für viele Eltern ist das eine Entlastung. Aber natürlich kommen mit den Kindern auch die belastenden Erfahrungen aus dem Lager hierher. "Nachdem das Lager in Moria abgebrannt war, haben viele Kinder das Feuer gemalt", erzählt Dimou. Auch Gewalterfahrungen finden sich zuweilen in den Zeichnungen der Kinder wieder. Deshalb gibt es hier auch psychologische Beratung. Für die Kinder ist es sicher schon eine Erholung, wenn sie raus aus dem Staub des Lagers in den Raum mit der chilligen Musik kommen können. (Adelheid Wölfl aus Mytilini, 10.9.2021)