Palmers versucht nach dem Skandal rund um Masken "made in Austria" chinesischen Ursprungs in ruhigeres Fahrwasser zurückzukehren.

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Wien – Midnight Blue ist für Palmers die Farbe der Saison. Kraft, Ruhe und Sicherheit strahle diese in einer Zeit der Ungewissheit aus, schwärmt Eva Renk-Klenkhart, Produktmanagerin der Wäschekette, und lobt die Vorzüge des mitternächtlichen Blaus. In einer noblen Bar über den Dächern Wiens vertieft sie sich in mannigfaltige Kombiniermöglichkeiten der neuen Kollektion. Derweil blicken die ersten Zuhörer unruhig auf die Uhr. So mancher hat sich statt modischer Details Aufklärung über die abenteuerlichen Ausflüge des Konzerns ins Maskengeschäft erwartet.

Sechs Monate liegt die Razzia bei der Hygiene Austria zurück. Seither blieb bei dem Maskenhersteller, der als Joint Venture zwischen Palmers und dem Faserhersteller Lenzing gegründet wurde, kein Stein auf dem anderen. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ermittelt seither wegen Verdachts auf schweren gewerbsmäßigen Betrug und Schwarzarbeit. Lenzing zog daraufhin die Reißleine: Manager wurden zurückbeordert, alle Anteile an der Hygiene Austria an Palmers übertragen.

Zum Verhängnis wurde Palmers-Chef Tino Wieser, dass er Teile der Maskenproduktion nach China auslagerte, während er weiter mit einer Herstellung in Österreich warb. Handelsketten leiteten rechtliche Schritte ein. Klagen der Arbeiterkammer aufgrund widriger Arbeitsbedingungen der im Keller der Fabrik beschäftigten Zeitarbeiter folgten. Es gilt die Unschuldsvermutung.

In der freitäglichen "ZIB 13" meinte Wieser: "Wir werden alle noch eine Überraschung erleben, es wird alles positiv ausgehen und alles, was Sie gelesen und geschrieben haben, wird sich in Luft auflösen." Dass die Mitarbeiter unterentlohnt wurden, bestreitet Wieser gegenüber dem ORF: "Ich habe dazu wirklich genug Stellung bezogen, wir haben mehr als genug in der Stunde bezahlt. Das reicht aus für Ihres und mein Gehalt."

40 Zahlungsbefehle

Der WKStA zufolge laufen nach wie vor Vernehmungen. Die sichergestellten Daten werden ausgewertet. Die Arbeiterkammer leitete in Summe 100 Verfahren gegen vier Unternehmen im Zusammenhang mit der Hygiene Austria ein, der Gesamtbetrag der betriebenen Schadensansprüche beträgt rund 310.000 Euro. Am Dienstag wurden 40 vollstreckbare Zahlungsbefehle erlassen, bestätigt Arbeitsrechtsexperte Ludwig Dvorak dem STANDARD. Ein erstes Unternehmen der Sub-Kette ist bereits insolvent, es sei zu erwarten, dass mindestens ein weiteres folgt. Damit trägt die Kosten für die Ansprüche der Beschäftigten der Staat.

Zudem soll über eine Sachverhaltsdarstellung an die WKStA geprüft werden, ob ein strafrechtlich relevantes Verhalten der Hygiene Austria rund um die ausbezahlten Löhne an Zeitarbeiter vorliegt. Denn auffällig sei: Der von der Hygiene Austria genannte Stundensatz von 20 Euro für Verpacker könne sich wirtschaftlich nicht rechnen. Die Frage sei, sagt Dvorak, ob sich Hygiene Austria dessen bei der Auftragsvergabe an Subfirmen hätte bewusst sein müssen.

Die Handelskette Rewe als Kunde der Hygiene Austria leitete einen Privatbeteiligtenanschluss innerhalb eines Strafverfahrens ein, erläutert ein Konzernsprecher. Spar macht entsprechende Schritte von der Rechtssprechung abhängig.

Masken als Reizwort

Doch über all dies will Palmers, nach wie vor Eigentümer der Hygiene Austria, nicht reden. Maske wird zum Reizwort des Abends. Fragen dazu verbittet sich das Unternehmen. Stattdessen verspricht Verkaufschef Ralph Hofmann ein wirtschaftliches Resümee über das Corona-Jahr. "Wir haben die Krise hinter uns gelassen und Umsätze, so hoch wie noch nie, erzielt", freut er sich. "Es geht ungebremst bergauf." Der Schönheitsfehler dabei: Der fertige Bilanzabschluss fehlt.

32 Prozent mehr Umsatz habe Palmers im ersten Halbjahr 2021 erzielt und damit das bislang absatzstärkste Jahr 2019 um 14 Prozent übertroffen, sagt Robert Weiß, neuer Finanzchef bei Palmers. 2020/21 erwarte man ein ausgeglichenes Ergebnis bei einem positiven Ebitda. Konkrete Zahlen gibt es keine.

2019/20 hat die Palmers Textil AG bei knapp 63 Millionen Euro ein negatives EGT in Höhe von zwei Millionen Euro verbucht, geht aus der damals veröffentlichten Bilanz hervor. Mit 258 Punkten wiesen Kreditschützer dem Konzern eine mittlere Bonität aus.

Boom der Pyjama

Wie lassen sich angesichts einer Textilbranche, die durch die Corona-Krise schwer unter Druck geriet, Rekorde brechen? Zumal die Lockdowns das Unternehmen nach eigenen Angaben 20 Millionen Euro an Umsatz gekostet haben. Hofmann hebt vor allem den Verkauf von Pyjamas und Jogginganzügen hervor, die Palmers "aus den Händen gerissen wurden".

Zusammengearbeitet wird mit der Designerin Marina Hoermanseder. Anders als früher wirbt Palmers zunehmend mit Models mit durchschnittlicher Konfektionsgröße. Geschäfte rund um Heimtextilien sollen ausgebaut werden. Mit den Marken P2 und Basics versucht Palmers stärker im Großhandel Fuß zu fassen.

Doch der Markt ist seit Jahren schwer umkämpft. Diskontriesen und branchenfremde Anbieter lassen wenig Spielraum. Wer im internationalen Vergleich klein ist ist, hat im Einkauf und in der Logistik das finanzielle Nachsehen. Zum Sorgenkind der Branche wurde in der Pandemie vor allem Deutschland.

7,5 Millionen Euro Förderungen

Wie viel staatliche Förderung hat das Unternehmen, das in Hand der Familien Wieser und einer Liechtenstein-Stiftung rund um Matvei Hutmann steht, erhalten? 7,5 Millionen Euro waren es in Summe, rechnet Weiß auf Nachfrage vor. 4,3 Millionen Euro gingen auf die Kurzarbeit zurück, der Rest verteile sich auf Fixkostenzuschüsse und Umsatzersatz. Die Zahl der Mitarbeiter erhöhte sich im Corona-Jahr um 20 auf 740.

Weiß, der zuvor das Finanzwesen von Händlern wie Deichmann und Kika/Leiner führte, Erfahrungen in China, den USA und Polen sammelte, hält bei Palmers seit März zusehends die Fäden in der Hand. Dass er die operative Führung zur Gänze übernimmt und sich der bisherige Vorstand und Miteigentümer Tino Wieser in den Aufsichtsrat zurückzieht, wie hinter den Kulissen spekuliert wird, bestätigt er nicht. "Was die Zukunft bringt, wird sich zeigen."

Ungewisses Schicksal

Ungewiss bleibt das Schicksal der Maskenproduktion. Im Juni wurde bekannt, dass Hygiene Austria Teile davon an die Tochterfirma einer Wiener Anwaltskanzlei übertragen hat. Ob Palmers Käufer für die Assets sucht oder angesichts strengerer Corona-Regeln einen Neustart wagt, ist offen. Der skandalträchtige Name Hygiene Austria dürfte in jedem Fall früher oder später trotz der in Österreich mittlerweile von den Behörden wohl am gründlichsten getesteten Masken Geschichte sein. (Verena Kainrath, 10.9.2021)

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