Alida Bremer schreibt mit dem Wissen einer Einheimischen.

Foto: Ali del Baya

Der römische Dichter Horaz meinte, dass derjenige den größten Beifall verdiene, der das Publikum gleichzeitig erfreue und belehre", formuliert Alida Bremer in ihrem Roman Träume und Kulissen. Die Lage im kroatischen Split im Juli 1936 ist atmosphärisch dicht und politisch brisant. Nazi-Propagandafilmer nutzen die Adria als Schauplatz. Mussolini-Sympathisanten proben den Aufstand. Gleichzeitig warten aus dem Deutschen Reich Geflüchtete auf eine Passage nach Übersee. Kommunistische Aktivisten agieren als Fluchthelfer. Schlepper, Schmuggler, Fälscher machen Geschäfte mit den Verfolgten.

Um vielfältige Perspektiven zeigen zu können, beschränkt sich die kroatisch-deutsche Schriftstellerin auf nur einen Ort und eine kurze Zeitspanne. Ihre zahlreichen Protagonisten stammen aus verschiedenen Gesellschaftsschichten, haben diverse kulturelle, sprachliche und nationale Hintergründe. Bremer führt durch ein Panorama aus Gerüchen, Geräuschen und Gesprächen, konzentriert kulinarische Eindrücke und Geschmacksrichtungen. Hauptsächlich wird Historie als Alltagsgeschichte erfahrbar. Diese konzentrierte Vergegenwärtigung lässt kommende Katastrophen bereits erahnen, die Autorin vermeidet jedoch einen expliziten Vorausblick auf Krieg und Zerstörung.

Die Inszenierung von Split

Zusammengehalten werden die verschiedenen Komponenten durch die Figur eines Kommissars, der durch Split streift. Seine Fahndung nach einem Mörder dient Bremer vor allem dazu, die Stadt zu inszenieren. Der Kommissar beobachtet, sammelt Berichte, sucht Restaurants, Freunde, Familie und Verdächtige auf. Die Begrenzung des räumlichen und zeitlichen Spektrums erlaubt eine Forschung in die Tiefe, sodass allmählich ein subjektiv geprägter Stadtplan Splits entsteht. Anstatt aber zu ermitteln, lässt der Kommissar sich treiben.

Die Stadt ist jedoch nicht nur, was sie wirklich ist, sondern auch, was sie vorgeben soll. Diese Spiegelung wird durch das Medium Film veranlasst, welches den Roman auf mehrfachen Ebenen strukturiert. Hintergrunderzählungen zu Produktion, Schauspielern und Drehorten geben Einblick in die politische Lage, in manipulative Absichten und Mittel. Vertreter der Nazi-Filmindustrie reisen nach Split, weil dessen mediterrane Atmosphäre Sewastopol am Schwarzen Meer darstellen soll. Sie kolonisieren das adriatische Flair, so wie spätere Filmemacher die Karstlandschaft Istriens für Winnetou-Verfilmungen. Die Metapher vom Film erlaubt außerdem ein Oszillieren zwischen Wirklichkeitsebenen. Zusammenhänge von Kino, Traum, Fantasie und Wunsch werden aufgerufen.

Alle Wahrnehmungen sind von diesem Medium bestimmt. Nicht zuletzt spielt auf realpolitischer Ebene die Filmindustrie in Hollywood eine entscheidende Rolle bei der Rettung jüdischer Geflüchteter. Viele von ihnen organisieren von Split aus ihre Weiterreise in die USA und sind auf Affidavits sowie finanzielle Unterstützung angewiesen, die damals oft von bereits in Hollywood etablierten jüdischen Intellektuellen und Filmleuten ausging.

Dem Ineinander von Wirklichkeitsebenen entsprechen die Ideologien, die sich 1936 in Split versammeln: Anhänger des Faschismus, Hitler-Sympathisanten, kroatische Nationalisten, Bolschewiken, Sozialisten, Futuristen, Antisemiten, Weltverschwörer. Politik ist jedoch meist Männern vorbehalten, genauso wie kulinarisches Genießen vorwiegend aus männlicher Sicht geschildert wird.

Weltfrieden und Tavernen

Frauen hingegen ermöglichen diese Sinnesfreuden, indem sie zum Vorteil aller unermüdlich frische Lebensmittel besorgen, zubereiten und servieren. Gemeinsame Mahlzeiten seien eine brauchbare Methode, Menschen verschiedener ideologischer Ausrichtung auf friedliche Weise miteinander in Beziehung zu setzen, heißt es: "Für den Weltfrieden brauchte man Orte wie diese Taverne, in der mancher Gast vor Ehrfurcht erstarrte, wenn die Köche vor ihm die Deckel von den Töpfen nahmen: "Hier haben wir eine pas?ticada, einen Rinderbraten, und hier sehen Sie den tingul aus Hühnerfleisch, ein Gericht, das Magen- und Herzkranke heilt, und hier Bällchen aus gehacktem Lammfleisch, die wir nur im Sommer anbieten." Die gesättigten Männer – es waren vor allem Männer, die Kriege anzettelten – würden von dem guten Essen eingelullt "wie im Mutterschoß, und der Mutterschoß ist ein Ort der Friedfertigkeit."

Das kann durchaus als politische Botschaft der aus Ex-Jugoslawien stammenden Autorin verstanden werden. Bremer verfasst diesen Roman über eine kroatische Stadt mit dem Wissen einer Einheimischen und der Sprachfähigkeit einer in Deutschland Lebenden. Da die deutsche Sprache das politisch einflussreiche Land verkörpert, erreicht die Autorin damit höhere Wirkmacht als in ihrer Herkunftssprache. Indem sich Alida Bremer dafür entscheidet, will sie auch der Abwertung des Kroatischen und des Balkans im Allgemeinen entkommen. (ALBUM, Sabine Scholl, 12.9.2021)