Leben in Zelten, dem Wetter ausgeliefert. Lager Kara Tepe auf Lesbos im heurigen September.

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Wien – Der Plan ist bescheiden, und es gibt ihn seit inzwischen einem Jahr. Die Ressourcen, um ihn zu realisieren, sind vorhanden. Dennoch sei man der Umsetzung des Vorhabens, 144 asylberechtigte, also als Flüchtlinge bereits anerkannte Familien aus Lagern an den EU-Außengrenzen im Rahmen eines wissenschaftlich begleiteten Pilotprojekts nach Österreich zu bringen, bis dato keinen Schritt nähergekommen.

Das sagte die Migrationsforscherin und Kulturwissenschafterin Judith Kohlenberger am Freitag bei einer Pressekonferenz der Flüchtlingsinitiative Courage. Anlass des Termins: Ein Jahr nach dem Brand im Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos hat sich weder die Lage der Menschen, die an Orten wie diesen leben müssen, grundlegend gebessert, noch wurde die Politik der Abschottung und des Wegschauens aufgeweicht – ganz im Gegenteil.

Positive Gespräche, Njet von Bund

Österreich sei ein Land, "das die Rettung von Menschen inzwischen de facto verbietet", sagte Courage-Mitinitiatorin Katharina Stemberger. Tatsächlich – so schilderte Courage-Mitinitiator Stefan A. Sengl – hätten Mitstreitende im vergangenen Jahr mit Bürgermeistern, Landeshauptleuten und Vertretern der Zivilgesellschaft höchst positive Gespräche geführt. Schon vor einem Jahr habe Courage daher ihre "Landkarte" mit 3000 sicheren Plätzen für Verfolgte in Österreich veröffentlichen können.

Die Bundespolitik jedoch habe konsequent abgeblockt. Tatsächlich soll es dem Vernehmen nach nur von grüner Seite Antworten auf Briefe und andere Kontaktversuche mit Mitgliedern der Bundesregierung gegeben haben.

Stefan A. Sengl, Katharina Stemberger, Othmar Karas, Bettina Vollath, Klaus Schwertner und Judith Kohlenberer (von links) sprachen bei den Courage-Pressekonferenz.
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Zentraler Resettlement-Plan

Besagte 144 Familien – oder rund 450 Personen – wären rund ein Zehntel jener 4450 Menschen, die laut Experten im Rahmen von Resettlement hierzulande alljährlich aufgenommen werden sollten. Die Zahl stammt von einem unabhängigen Beratungsgremium der deutschen Bundesregierung, das die EU-weite Aufnahme von 225.000 Personen – oder 0,05 Prozent der Unionseinwohnerschaft – empfiehlt.

Der Plan der geordneten Rettung ist eine zentrale Forderung der Initiative Courage. "Wir wollen nicht die Welt retten, und wir sind auch nicht naiv", sagte Stemberger. Die Aufnahme verfolgter Menschen entspreche vielmehr einer "Tradition in Österreich und in Europa", die zu versanden drohe.

Viele Pushback-Erfahrungen

Auch zwei Europapolitiker sprachen bei der Pressekonferenz. Die EU-Parlamentsabgeordnete Bettina Vollath (SPÖ) kritisierte die Blockade europäischer Staaten, unter ihnen inzwischen auch Österreich, von "pragmatischen Lösungen" in Sachen Flüchtlinge. Aufgrund dieser Einwände liege der EU-Pakt für Asyl und Migration seit 2016 auf Eis.

Bei ihren Reisen in die griechischen sowie bosnischen Lager habe sie zudem erfahren, dass "fast jede Fluchtgeschichte in die EU inzwischen mit Pushback-Erfahrung einhergeht", sagte Vollath. Pushbacks sind asylrechtlich illegale Abweisungen an Staatsgrenzen. Sie gehen oftmals mit Gewalt gegen Flüchtende einher.

Neues Leben für den Geist der Flüchtlingskonvention

Othmar Karas (ÖVP), Vizepräsident des Europaparlaments und als offener Kritiker der türkisen Antiflüchtlingspolitik in der Volkspartei inzwischen ziemlich allein, bezeichnete den Umgang mit den Flüchtlingen in der Lagern als "Schandfleck" der EU. Dort seien Menschen mit Flüchtlingsstatus gezwungen, mit Menschen in Asylverfahren, Minderjährige und Kinder zusammen mit erwachsenen Männern zu leben.

"Das entspricht nicht dem Geist der Genfer Flüchtlingskonvention", sagte Karas. Die Frage sei, ob und – wenn ja – wie man diesen Geist in der EU wieder mit Leben erfüllen könne. (Irene Brickner, 10.9.2021)