Den Abzug der US-Truppen feierten die Taliban am 1. September in Kandahar mit einem Autokorso.

Foto: AFP/JAVED TANVEER

Kabul – Die Taliban haben nach internationaler Kritik die für Samstag geplante Angelobung der neue Regierung Afghanistans verschoben. Dies wäre der 20. Jahrestag der Anschläge auf das New Yorker World Trade Center und das Pentagon gewesen.

Man wolle die Bevölkerung nicht weiter verwirren und habe sich deswegen entschlossen, die Veranstaltung zu verschieben, schrieb Inamullah Samangani von der Kulturkommission der neuen Regierung auf Twitter. Einen neuen Termin nannte er nicht.

Die Islamisten planen zu diesem Anlass eine feierliche Zeremonie, zu der Vertreter der Türkei, Chinas, Russlands, des Iran, Katars und Pakistans eingeladen sind. Katars Außenminister Mohammed bin Abdulrahman Al-Thani landete am Donnerstag in Kabul.

Bei der Taliban-Parade am 2. September wurden Selbstmordattentäter, Autobomben und improvisierte Sprengsätze präsentiert.

Moskau erteilte den neuen Machthabern am Freitag eine Absage: Man werde sich in keiner Weise an den Feierlichkeiten beteiligen, erklärte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Zuvor war von einer Teilnahme auf Botschafterebene die Rede gewesen.

Russland verlegt Panzer

Außerdem verlegt Russland 30 zusätzliche Panzer auf seinen Militärstützpunkt in Afghanistans Nachbarland Tadschikistan, wo bereits 100 gepanzerte Fahrzeuge stationiert sind. Die größte Auslandsbasis der russischen Streitkräfte in der Hauptstadt Duschanbe beherbergt mehr als 6.000 Soldaten sowie Hubschrauber und Kampfflugzeuge.

Vor allem auf China setzen die Taliban große Hoffnungen: "China ist unser wichtigster Partner (…) Es ist bereit, zu investieren und unser Land neu aufzubauen", sagte ihr Sprecher Sabiullah Mujahid der italienischen Tageszeitung "La Repubblica". Man hoffe, dass die Chinesen Afghanistans Kupferminen wieder in Betrieb nähmen.

Bisher hat China lediglich humanitäre Nothilfe und Impfstoffe gegen die Corona-Pandemie im Wert von 200 Millionen Yuan (26 Millionen Euro) zugesagt.

Stöcke, Peitschen und scharfe Munition

Das UN-Menschenrechtsbüro in Genf kritisierte am Freitag, dass die Taliban immer brutaler gegen Kritiker vorgingen. Um friedliche Proteste gegen ihre Herrschaft aufzulösen, setzten die radikalen Islamisten Stöcke, Peitschen und scharfe Munition ein. Mindestens vier Demonstranten seien dabei ums Leben gekommen.

Zudem gebe es Berichte über Hausdurchsuchungen, um Teilnehmer von Protestmärschen aufzuspüren. Gefangene der Taliban würden geschlagen und zum Teil mit Enthauptung bedroht. Auch würden Pressevertreter eingeschüchtert.

Der Bruder des Ex-Vizepräsidenten Amrullah Saleh wurde nach Angaben eines Angehörigen umgebracht. "Sie haben ihn gestern ermordet und verbieten uns, ihn zu begraben", schrieb der Neffe Ebadullah Saleh in einer Textnachricht an Reuters. "Sie sagten, seine Leiche soll verrotten." In einem Nachrichtendienst der Taliban heißt es dagegen, Rohullah Saleh sei während der Kämpfe im Panjshir-Tal getötet worden.

Amrullah Saleh soll zusammen mit dem Anführer der afghanischen Tadschiken, Ahmad Massoud, den bewaffneten Widerstand im Panjshir-Tal leiten. Die Islamisten hatten erklärt, die letzte größere Bastion von Gegnern eingenommen zu haben, die beiden Männer seien ins Ausland geflohen. Dem hatten Oppositionelle widersprochen und erklärt, die Kämpfe würden fortgesetzt.

UNHCR: Massenfluchten bisher ausgeblieben

Bisher sind nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR Massenfluchten von Afghanen an die Landesgrenzen ausgeblieben. "Bis jetzt haben wir keine große Bewegungen aus der Bevölkerung an die afghanischen Grenzen gesehen", erklärte der Hohe UN-Flüchtlingskommissar Filippo Grandi in der türkischen Stadt Gaziantep.

Dem deutschen Auslandssender DW (Deutsche Welle) gelang es indes, zehn Mitarbeiter auf dem Landweg nach Pakistan zu evakuieren. Neun Korrespondenten und die einzige Korrespondentin der DW in Afghanistan konnten am Donnerstag mit ihren Familien nach Pakistan ausreisen, wie der deutsche Auslandssender am Freitag mitteilte. Die Evakuierung auf dem Luftweg sei nicht gelungen. Nach mehreren gescheiterten Anläufen sei dann die Möglichkeit geprüft worden, die Gruppe von 72 Menschen auf einem anderen Weg aus dem Land zu bekommen.

Die US-Regierung hat indes Evakuierungsflüge in die USA wegen mehrerer Masernfälle vorerst gestoppt. Unter in den USA gelandeten Afghanen habe es "vier Fälle von Masern" gegeben, sagte die Sprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki, am Freitag. (red, Reuters, APA. 10.9.2021)