Dauerbrenner Franz Gschiegl.

Foto: Gschiegl

"Wir sind schon verrückt", sagt Franz Gschiegl. "Aber ganz verrückt sind wir nicht. Wenn der Arzt sagt, es ist lebensgefährlich, dann kannst du nicht rennen." Unter allen anderen Umständen rennt der 65-Jährige, und zwar jedes Jahr seit 1984, als der Wien-Marathon seine Premiere feierte. Gschiegl ist einer von sieben Läufern, die bei allen bisherigen 36 Ausgaben über die Marathondistanz ins Ziel kamen. Einer ist 2021 verstorben, die anderen sechs haben für den heurigen Bewerb genannt.

Einmal war die Serie in Gefahr, erzählt der Niederösterreicher. "Ich hatte Probleme mit der Milz und musste sie operieren lassen. Ich habe den Arzt gefragt, ob ich den Marathon laufen kann. Er hat geglaubt, ich meine das nächste Jahr. Dann hab ich nicht mehr weitergefragt." Gschiegl verschob die fällige Operation auf vier Tage nach dem Marathon. "Ich bin ihn halt ein bisserl langsamer gelaufen."

Wer nicht gehen will ...

Bernhard Bruckner bei seinem 2. Wien-Marathon.
Foto: Bruckner

Zum illustren "Club 36" der wien-treuen Dauerläufer gehören außerdem Alfred Biela, Bernhard Bruckner, Erwin Reichetzeder, Michael Reichetzeder, Gerhard Tomeczek und der verstorbene Rainer Kalliany. Bruckner ist der Jüngste der Runde, er war bei seinem Debüt erst 17. "Wir durften mit meinen Eltern sonntags immer spazieren gehen – ich habe es gehasst. Ich mag das langsame Gehen auch jetzt noch nicht. Ich bin immer vorgelaufen, zurückgelaufen, vorgelaufen", erzählt der 54-Jährige. Auch beim Einkaufen oder auf dem Weg in die Schule: "Ich bin immer gelaufen." Eines Abends sei seine Mutter ins Zimmer gekommen: "In Wien ist ein Marathon, willst du mitlaufen?" Bruckner: "Ich habe gleich Ja gesagt, ich habe ja nicht gewusst, was das ist." Er kam in 3:27 Stunden ins Ziel: "Es hat wahnsinnig Spaß gemacht. Ein rein positives Erlebnis."

Ein Fixpunkt

Also trat er im folgenden Jahr wieder an. Und wieder, und wieder, und wieder, man könnte so ganze Zeitungsspalten füllen. "Der Wien-Marathon ist ein Fixpunkt, das wird er bleiben, solange ich laufen kann." Man könne auf den 42,195 Kilometern "immer wieder etwas Neues entdecken", sagt der 54-Jährige. "Ich nehme das irrsinnig stark auf. Es ist viel Zeit, um nachzudenken, neue Eindrücke zu bekommen."

Bruckner nach seinem 36. Wien-Marathon.
Foto: Bruckner

Auch Gschiegl baut seinen Kalender um diesen einen Sonntag, der nun erstmals im Herbst statt im Frühling ist: "An dem Wochenende geht sonst nichts, da mussten schon Amerika-Reisen weichen. Wenn meine Tochter nächstes Jahr heiraten will, würde ich sagen: Lieber eine Woche früher oder später." Am VCM sei es das "Tolle, dass es jedes Jahr einen Feinschliff gibt. Sie überlegen sich jedes Jahr etwas."

Bruckner streut den Organisatoren ebenso Rosen. "Es ist eine hochprofessionelle Veranstaltung, da passt alles. Hut ab vor Wolfgang Konrad. Da gibt es andere große Stadtmarathons, die das nicht so hinbringen." Der Deutsch-Wagramer hat auch international zahllose Bewerbe erlebt, 2010 feierte er seinen "Hunderter" – natürlich in Wien. 2017 trieb er seine Leidenschaft auf die Spitze, lief in zehn Tagen zehn Marathons. Gschiegl geht, nein, läuft gar über die Marathondistanz hinaus, er ist Stammgast beim Ötscher-Ultra-Marathon.

Was man drei Tage vor einem Marathon eben so macht: Gschiegl beim Berglauf in der Steiermark.
Foto: Gschiegl

Gschiegl hält unter den sieben Dauerläufern die schnellste Gesamtzeit, sein Schnitt beträgt 3:18:20 Stunden. Bruckner hält bei einer Durchschnittszeit von 3:36:29. Die 36 Marathons aneinandergereiht ergeben 1519 Kilometer, da wäre man von Wien fast in St. Petersburg.

Kein Stress

Das verbliebene Sextett kennt und schätzt sich. Die unter drei Stunden liegenden Bestzeiten stammen allesamt aus den Jahren 1988 bis 1991, nun geht man es gemächlicher an. "Mit viereinhalb, fünf Stunden bin ich sehr zufrieden, weil ich derzeit nicht viel Zeit zum Trainieren habe", sagt Bruckner.

Auch Gschiegl läuft für den Genuss, ein fixes Trainingsprogramm hatte er ohnehin nie: "Es soll ja Spaß machen." Drei Tage vor dem Marathon ist er mit einem Freund berglaufen. "Wenn mir wer sagt, dass das komplett falsch ist – nein! Ich genieße die Natur, und wenn ich am Sonntag zwei Minuten langsamer bin, ist das okay." Hauptsache, er erlebt am Sonntag zum 37. Mal das Kribbeln vor dem Start, den Jubel im Ziel, die Begeisterung dazwischen. "Da ist eine Stimmung – das kann nur fühlen, wer mitläuft. Egal, ob Halbmarathon oder Staffel." (Martin Schauhuber, 11.9.2021)