Hat bei der Machtübernahme leichtes Spiel: Heinrich Bolingbroke (Sarah Viktoria Frick) in "Richard II." am Burgtheater.

Marcella Ruiz Cruz

Allmählich wird es sichtbar, dass das stakkatohafte Premierenaufgebot dieses Septembers die Publikumsnachfrage übersteigt. Das Burgtheater war jedenfalls besorgniserregend schütter besetzt, als am Donnerstagabend der mit vielen anderen Arbeiten aus der letzten Spielzeit aufgeschobene Richard II. in einer Inszenierung von Johan Simons Premiere feierte. Ein trister Anblick, den man dem Ensemble gern erspart hätte. Dieses stemmt diesen feinnervigen Abend hervorragend, allerdings muss man auch sehr gut platziert sein, um das überhaupt verfolgen zu können.

Der im Mai bereits vorausgeschickte Livestream der Aufführung – er folgte auf zwei Voraufführungen bei den Bregenzer Festspielen – bot dahingehend Vorteile (DER STANDARD berichtete). Da sah man aus nächster Nähe, wie eine Pitbull-Konversation unter Todfeinden abläuft, als sich Sarah Viktoria Frick als Heinrich Bolingbroke zum bedrohlich knurrenden Köter auswuchs, der sich haltlos in den Hals des Gegners Mowbray (Gunther Eckes) verbiss.

Nicht Richard III.

Solche körperlichen Manöver sind die wenigen Akzente, die Simons in seiner bescheidenen Regie dieses selten gespielten Shakespeare-Dramas setzt (nicht zu verwechseln mit dem Wahnsinnskönig Richard III.). In einem abstrakten Bühnenbild von Johannes Schütz, in dem in einer leicht abgesenkten Bühnenfläche ein Gestängemodul stetig und wahlweise zu einem Haus, zu einem Thron oder zu sonstigem höfischem Mobiliar umgebaut wird, vollzieht sich ein höchst seltsamer Machtwechsel:

Dem vergeistigten und oft unverständlich vor sich hin brabbelnden König Richard (Jan Bülow), völlig von den aufmunternden Remplern der Königin (Stacyian Jackson) abhängig, fehlt jeder weitere Wille zur Macht. Er ist ein Zauderwölkchen unter einem Himmel von zittrigen Geigentönen, die ihn regelmäßig heimsuchen (Musik: Mieko Suzuki). Der sorgenvolle Blick aus geröteten Augen und seine verzagten Mundwinkel sind Ausdruck eines Mannes, der das Amt längst abgeschüttelt hat, darunter übrig geblieben ist ein kaputter Mensch.

Frechheit siegt

Mit dieser Spannung zwischen Individuum (Mensch) und offizieller politischer Figur (Königsamt) versucht die Inszenierung zu spielen, doch verpuffen diesbezügliche Setzungen weitgehend. Es gelingt dort, wo sich Figuren aufbäumen, etwa Martin Schwab als John von Gaunt, der sich wie eine näherrückende Wand gegen den König stellt. Oder eben Bolingbroke (Frick), der seinen Herrschaftsanspruch mit kindlich-naivem, aber umso wirkungsvollerem sonnenkönighaftem Gebaren (allzeit bereit für das Krönungsporträt!) körperlich beglaubigt.

Frechheit siegt eben. Mit schnippischem Tonfall, aber in einem frisch gebügelten Sakko holt sich dieser zupackende Macher nonchalant die Krone ab. Wie abstrus dieser Machtwechsel samt all seinen opportunistischen Lagerwechseln abläuft, manifestiert sich in den clownesken Kostümen Greta Goiris’, deren Raff- und Wickeltechniken und bunte Prints 135 Minuten lang Rätsel aufgeben.

Die nächsten Premieren warten schon. Es bleibt zu hoffen, dass es nicht die 3G-Regel ist, die das Publikum fernhielt. (Margarete Affenzeller, 11.9.2021)