Für einkommens- oder vermögensabhängige Strafen spricht für manche die Gerechtigkeit. Aber es spricht auch einiges dagegen, sagen Verkehrsexperten.
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Für:

Falls Sie beim Lesen des Vorspanns gerade über "die wahren Experten" gestolpert sind – hier kommt schon die Auflösung. Gemeint ist damit die STANDARD-Community, die erst vor wenigen Tagen heftig dazu diskutierte. Anlass war die Strafe in Höhe von rund 200.000 Schweizer Franken, umgerechnet rund 184.000 Euro, die eine Multimillionärin aus Zürich zahlen musste, weil sie mit 95 km/h im Ortsgebiet geblitzt wurde.

"So ein Gesetz hätte man schon vor 30 Jahren einführen können und damit womöglich den einen oder anderen tödlichen Unfall verhindert", mein da etwa User "W1nterfell". Nutzer "Hanno Buergler" ist der Überzeugung, "die Anpassung von Verwaltungsstrafen an das Einkommen – und überhaupt eine Totalreform des Verwaltungsstrafrechtes – wäre ja auch bei uns schon längst überfällig".

Nicht dagegen, aber ...

Bei den ausgewiesenen Verkehrsexperten sieht die Sache schon ein wenig anders aus. Zwar sei man "nicht per se gegen" Strafen, die nach dem Ver mögen oder Einkommen bemessen werden, wie es vom ÖAMTC etwa heißt. "Vorteil wäre, dass es gerechter ist, Verhalten nach Kriterien zu sanktionieren, die subjektiv wehtun." Doch dann folgt das lange und ausführliche Aber – das Sie gleich darunter finden.

Beim Kuratorium für Verkehrssicherheit (KfV) könnte man sich vermögens- oder einkommensabhängige Strafen zwar vorstellen, "aber ...".

Bei ordentlichen Strafverfahren, also jenen ab dem Verwaltungsstrafrecht, zitieren KfV und ÖAMTC das Gesetz, sind "die Einkommens- und Vermögensverhältnisse und allfällige Sorgepflichten des Beschuldigten bei der Bemessung von Geldstrafen zu berücksichtigen". Man könnte also für schwere Verkehrsdelikte schon vermögensabhängige Strafen verhängen. Allerdings orientiere man sich hierzulande eher an den Mindeststrafen, ist sich das KfV sicher.

Beim ARBÖ spricht dafür, dass "einkommensabhängige Verkehrsstrafen sozial gerechter wären, so der Einstiegsstrafsatz am Einkommen der Wenigverdiener angesetzt wird".

So wirklich dafür ist man nur beim Verkehrsclub Österreich (VCÖ): "Einkommensabhängige Strafen haben den Vorteil, dass Verkehrsstrafen auch bei wohlhabenden Personen eine abschreckende Wirkung haben. Aktuelle Strafhöhen werden von Personen mit sehr hohem Einkommen als Trinkgeldstrafen wahrgenommen." Der VCÖ verweist auf Länder wie Finnland, Schweden und die Schweiz, wo sich einkommensabhängige Strafen bereits bewährt hätten – und erinnert, dass bei einer möglichen Einführung Österreich von deren Erfahrungen profitieren könnte.

Wider:

Während der VCÖ reichlich Argumente für einkommens- oder vermögensabhängige Strafen findet, bleibt er die Antwort darauf, was dagegen spricht, schuldig. Anders sieht das bei KfV, ÖAMTC und ARBÖ aus.

Das KfV will lieber erst einmal alle anderen Register ziehen und stellt den Führerscheinentzug in den Fokus. Bei Geschwindigkeitsübertretungen von 30 km/h im Ort, 40 km/h im Freiland soll der Schein für drei Monate eingezogen werden. Und das KfV würde auch gern über die Gerätetoleranz von Radar- und Lasergeräten reden. Fragen hingegen stellen sich beim ARBÖ.

Datenschutz

Die nach dem Datenschutz nämlich, denn solche "Strafen machen den Einblick in die Vermögenswerte und Einkommen der Menschen notwendig". Autolenker würden "gläsern" werden. "Einkommensabhängige Verkehrsstrafen sind außerdem dann sozial ungerecht, wenn das Vermögen oder auch undeklarierte Einkünfte außer Acht gelassen werden." So richtig aufmagaziniert ist man, was Argumente gegen vermögensabhängige Verkehrsstrafen betrifft, aber beim ÖAMTC.

In der Praxis sei es bei Massendelikten wie Verkehrsübertretungen völlig absurd, in diese Richtung nachzudenken, erklärt ÖAMTC-Jurist Martin Hoffer, weil so eine Strafe nur möglich wäre, wenn auch überprüft würde, ob die vom Beschuldigten angegebenen Daten zum Einkommen und Vermögen überhaupt stimmten und aktuell seien. Denn "Einkommensbescheide sind nicht selten eineinhalb Jahre alt, und da kann sich in der Zwischenzeit viel in die eine oder andere Richtung getan haben. Einen Vermögensfeststellungsbescheid gibt es bei uns erst gar nicht."

Strafrecht

Zudem sei eine vermögensabhängige Strafe dem österreichischen System nicht fremd, wenn Delikte "strafrechtlich sanktioniert sind, wie etwa die Verletzung der körperlichen Integrität bis zur Todesfolge. Da haben wir eine Gerichtszuständigkeit und Strafen, die nach Einkommens- und Vermögensverhältnissen festgesetzt werden – wir haben das aber auch bei der Nötigung oder fahrlässiger und vorsätzlicher Gemeingefährdung." Und das könnte auch Drängler treffen.

Außerdem gehe es bei Strafen "um die spezialpräventive Wirkung, nicht um die Genugtuung gegenüber der Öffentlichkeit oder Vergeltungsgedanken". Und man könne ja schon jetzt hart strafen. "Beim erstmaligen Übertretungsfall hat die Behörde ein Wahlrecht, ob sie eine Geld- oder eine Freiheitsstrafe verhängt, beim zweiten Mal kann sie von vornherein eine Freiheitsstrafe verhängen, muss dies aber begründen. Bei der dritten Übertretung geht es noch leichter." Und kein Millionär wolle in den "Häfn". (Guido Gluschitsch, 11.9.2021)