Für Peter Filzmaier haben "kürzere Distanzen um die zehn Kilometer einen großen Vorteil". Aber, zugegeben, weniger Faszination.

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Spyridon Louis lief 1896 in knapp drei Stunden zu Olympiagold.

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Der von Marathonläuferinnen und -läufern so gefürchtete "Mann mit dem Hammer" kam in der Prater-Hauptallee. Dort musste Peter Filzmaier seine Hoffnungen auf eine Marathonzeit unter 2:40 Stunden begraben. Theoretisch hätte es sich ausgehen können bis müssen. "Es gab nur einen Haken, nämlich das Wörtchen theoretisch." Filzmaier fragt sich, was an den antiken und auch neuzeitlichen Marathonlegenden dran ist – und gibt sich den 38. Vienna City Marathon am Sonntag als Zuschauer.

STANDARD: Um mit dem japanischen Schriftsteller Haruki Murakami zu beginnen, der ein Buch lang beschrieben hat, wie er von einem schweren Raucher zu einem begeisterten Läufer wurde: Wovon reden wir, wenn wir vom Laufen reden?

Filzmaier: Als ehemaliger Wettkampfläufer habe ich beim Laufen immer noch vor allem Kilometerzeiten und Distanzen im Kopf. Wer immer zum Spaß oder aus Freude an der Bewegung gelaufen ist, denkt wahrscheinlich an anderes, vielleicht an die schöne Gegend, in der er oder sie unterwegs ist.

STANDARD: Die schöne Gegend ist Ihnen egal?

Filzmaier: Es wird schon, es wird. Ich bin ja auch wieder in die Gruppe der Gelegenheitsjogger zurückgekehrt. Und ich bin beruflich sehr viel unterwegs. Da ist es schön, wenn man nicht nur Hotelzimmer und Seminarräume sieht, sondern laufend die Umgebung kennenlernt. Doch ich konnte mich bis jetzt auch nicht davon lösen, dass meine Uhr gewisse Daten misst.

STANDARD: Am Sonntag findet der 38. Vienna City Marathon statt. Was verbinden Sie und was verbindet Sie persönlich mit dem Marathonlauf?

Filzmaier: Marathon ist eine Unvollendete für mich, und daran wird sich auch nichts mehr ändern. Ich hatte mir mit meinen Bestzeiten über zehn Kilometer, knapp 33 Minuten, und im Halbmarathon, eine Stunde zwölf Minuten, eine bestimmte Marathonzeit ausgerechnet. Das kann jeder tun, etwa mit der einfachen Rechnung Halbmarathonzeit mal zwei plus zehn Minuten. So gesehen hätte ich im Marathon unter 2:40 Stunden bleiben können oder sogar müssen. Das war mein theoretisches Wunschziel. Es gab nur einen Haken, nämlich das Wörtchen theoretisch. Ich hab es in Wien probiert. Aber ich bin kläglich gescheitert, auch und vor allem wegen mangelnder Intelligenz.

STANDARD: Wie das?

Filzmaier: Es war sehr heiß an diesem Tag, und alle, die es halbwegs vernünftig angegangen sind, haben das zur Kenntnis genommen und sind etwas langsamer gestartet als geplant. Ich nicht. Das hab ich physisch wie psychisch nicht durchgehalten. In der Hauptallee ist der Mann mit dem Hammer gekommen, und ich bin ausgestiegen.

STANDARD: Mittlerweile hat sich das Thema Marathon für Sie erledigt?

Filzmaier: Das ist eine Narbe, die mir bleiben wird. Wobei ich nach einer schweren Infektion am Herzen wirklich froh sein muss, überhaupt wieder zu laufen. Kürzere Distanzen um die zehn Kilometer, die ich öfter wettkampfmäßig absolviert habe, haben einen großen Vorteil. Wenn man einen schlechten Tag hat und sein Ziel nicht erreicht, kann man es wenig später wieder probieren. Nach einem Marathon geht längere Zeit gar nichts. Mehr als drei Marathons im Jahr sind unrealistisch.

STANDARD: In Wien stand der Marathon knapp vor dem Aus, als Wolfgang Konrad Ende der 80er als Veranstalter angetreten ist. Mittlerweile ist er ein Riesenevent. Was macht den Mythos Marathon aus?

Filzmaier: Der Marathon bringt viel mit sich, das es sonst kaum gibt. Die absolute Elite und die breite Masse bestreiten gemeinsam einen Wettkampf. Und das Publikum sitzt nicht weit entfernt auf Tribünen, sondern ist am Straßenrand unmittelbar dabei. Nebenbei lässt sich ein Marathon mit einer Reise verbinden. Viele Städte haben Marathons als Tourismusfaktor erkannt, Wien war da einfach etwas später dran als andere. Die Weltspitze wird nie in Wien laufen, dafür ist die Strecke auch nicht flach genug. Aber es war geschickt, Superstars am Ende ihrer Karriere nach Wien zu lotsen. Das ist doch wunderbar, dass Haile Gebrselassie oder Paula Radcliffe in Wien zu sehen waren.

STANDARD: Der Marathon ist die längste olympische Laufdistanz. Ist es das, was viele fasziniert?

Filzmaier: Und natürlich die Legende, die ja teils bis zur völligen Unglaubwürdigkeit ausgeschmückt wurde. Dass vor 2511 Jahren ein Soldat, noch dazu in voller Rüstung, von Marathon nach Athen gelaufen wäre, um den Sieg in einer Schlacht zu verkünden, bevor er tot zusammenbrach – das ist schon sehr mysteriös. Bei den ersten Spielen der Neuzeit 1896 in Athen hat man die Legende wiederbelebt. Der griechische König soll dem Sieger Spyridon Louis auf Lebenszeit freie Friseurbesuche und Gratisverköstigung zugesichert haben.

STANDARD: Es heißt, Spyridon Louis sei nur wenige Tage vor dem olympischen Rennen, das er in 2:58:50 Stunden gewann, einen Testmarathon gelaufen, immerhin auch in 3:18.

Filzmaier: Ich kann mir gut vorstellen, dass auch das eine Legende und im Reich der Mythen anzusiedeln ist. Würde heute jemand binnen so kurzer Zeit zwei Marathons auf Zeit laufen wollen, so hieße es, der ist irgendwo angerannt.

STANDARD: Heute ist der Kenianer Eliud Kipchoge der weltbeste Marathonläufer. Er wurde kürzlich zum zweiten Mal Olympiasieger, hält mit 2:01:39 den Weltrekord und absolvierte als erster Mensch die Marathondistanz unter zwei Stunden, in 1:59:40 im Wiener Prater. Ein Wort zu ihm?

Filzmaier: Auch für einen ehemaligen Wettkampfläufer ist es völlig irre, was Kipchoge in Wien abgezogen hat. 2:50 Minuten für einen Kilometer – und das 42-mal hintereinander. Es gibt in Österreich nicht viele, die einen Kilometer in 2:50 laufen können, ohne dass sie nachher die Rettung rufen müssen.

STANDARD: Emil Zátopek, Olympiasieger 1952 über 5000 und 10.000 Meter sowie im Marathon, sagte: "Wenn du laufen willst, lauf eine Meile. Wenn du ein neues Leben kennenlernen willst, lauf einen Marathon."

Filzmaier: Dem ist wenig hinzuzufügen. Auf kürzeren Strecken gehst du eine Sauerstoffschuld ein und versuchst durchzuhalten. Im Marathon läufst du an der Grenze zur Schuld entlang – und das sehr lange. (Fritz Neumann, 11.9.2021)

Zur Person:

PETER FILZMAIER (54) aus Wien ist ORF-Politikanalytiker, Professor an der Donau-Universität Krems und an der Karl-Franzens-Universität Graz, er leitet das Institut für Strategieanalysen (ISA). Verheiratet, eine Tochter (19). Sein Buch "Atemlos. Meine schönsten Sportgeschichten und was sie mit Politik zu tun haben" erschien 2019 im Brandstätter-Verlag.