Beim Filmschauen setzen Menschen je nach Gefühlslage unterschiedliche Stoffe frei, die sich sogar zur Einschätzung von Altersfreigaben eignen könnten – eines von vielen schrägen Forschungsergebnissen, das 2021 mit dem Ig-Nobelpreis geehrt wurde. Die Datenlage für Katzen ist diesbezüglich noch dünn.
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Kann man Angst im Kinosaal riechen? Und über dieses Thema auch eine anerkannte Forschungsarbeit verfassen? Stefan Kramer ist dies mit einem Forschungsteam gelungen – und diese Woche wurde er dafür mit einem wissenschaftlichen Kultpreis ausgezeichnet: dem Ig-Nobelpreis, der für ungewöhnliche Forschungsansätze und -erkenntnisse verliehen wird (das englische Wort "ignoble" bedeutet in etwa "unwürdig", wobei der Preis in der Forschungsgemeinschaft eher mit "Schmäh" als mit "Schmähung" verbunden wird).

Kramer, der am Österreichischen Forschungsinstitut für Artificial Intelligence (OFAI) arbeitete und an der TU Wien seinen Doktortitel erhielt, ist seit langem in Deutschland tätig: Seit 2011 ist er Professor für Data Mining an der Universität Mainz, wo er auch an der Studie zur chemischen Zusammensetzung von Kinoluft mitwirkte. Hier arbeitete das Team mit Modellen, die die Konzentration flüchtiger organischer Verbindungen mit den Verläufen verschiedener Filme in Zusammenhang setzten – von "Der Hobbit" und "Die Tribute von Panem" bis "Machete" und "Paranormal Activity". Dabei stellte sich heraus, dass einige Moleküle offenbar kausal mit bestimmten Filminhalten – wie blutiger Gewalt und Spannung – zusammenhängen. Daher lässt sich durch ihre Messung auf den emotionalen Zustand des Publikums schließen.

FSK und Gasgemische

Die Idee zur Studie, die Kramer von Kollege Jonathan Williams vom Mainzer Max-Planck-Institut für Chemie unterbreitet wurde, habe "das gewisse Etwas" gehabt und sei eine besondere, nicht alltägliche Anwendung von Methoden des maschinellen Lernens gewesen, sagt Kramer: "Solche Anwendungen sucht man oft lange." Eine Folgestudie, an der Kramer nicht beteiligt war, wurde ebenfalls gewürdigt: In dieser Arbeit fand das Forschungsteam heraus, dass sich anhand des Stoffs Isopren recht zuverlässig die Altersfreigabe von Filmen voraussagen lässt.

"Offenbar rutschen wir unwillkürlich im Kinosessel hin und her oder spannen Muskeln an, wenn wir nervös und aufgeregt sind", sagt Williams – das dürfte für das vermehrte Austreten des Stoffwechselprodukts Isopren sorgen, das bei Bewegung über Blutkreislauf, Atmung und Haut frei wird. Das Team schreibt sogar, dass die Isopren-Emission pro Person künftig ein objektives Maß für die Klassifizierung von Filmen sein könnte, um herauszufinden, wie belastend diese für Kinder und Jugendliche sind. Immerhin weisen die analysierten Stoffe darauf hin, in welchem Ausmaß ein Film mit Gewalt, Sex, antisozialem Verhalten, Drogenkonsum und anstößigem Vokabular gespickt ist.

Dies beeindruckte auch das Ig-Nobel-Komitee, das die Forschenden per Videokonferenz mit Trophäen zum Selberbasteln und einem (falschen) Geldschein über 10 Billionen Simbabwe-Dollar (eine Währung, die der Regierung zufolge seit April als gescheitert gilt) "versorgte".

Die Angst des Bartträgers vor dem Faustschlag

Ein weiteres absurd anmutendes Forschungsprojekt widmete sich etwa dem evolutionären Nutzen von Bärten. Während Charles Darwin annahm, dass der maskuline Haarwuchs als Ornament einen Fortpflanzungsvorteil erbringen könnte, testeten drei US-amerikanische Forscher eine andere Hypothese: Könnte ein Rauschebart nicht auch im Nahkampf praktisch sein und vor Faustschlägen schützen?

Wer sich vor einem Kinnhaken schützen will, liegt mit einem Vollbart nicht so falsch, fanden Forscher heraus.
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Diese Frage beantwortete die Forschungsgruppe experimentell und ließ Gewichte auf knochenähnliches Material fallen, das durch Schafswolle geschützt – oder aber der vollen Kraft ausgeliefert – war. "Es ist nicht so, dass Bärte sehr viel Schutz bieten. Ein wirklich starker Schlag wird immer gefährlich sein", sagt David Carrier, einer der beteiligten Biologen. "Was wir sagen können, ist, dass sie einen gewissen Schutz für Knochen und Haut bieten."

Angeblich hat Carrier es mit dieser Arbeit nicht darauf angelegt, einen Ig-Nobelpreis zu erhalten, und musste selbigen erst recherchieren, nachdem er über den Erhalt des Pendants zum Friedensnobelpreis informiert wurde. Sein Vertiefungsprojekt könnte ihm aber eine weitere Nominierung einbringen: Er möchte in Zukunft herausfinden, ob Bärte in einem Faustkampf effektiv dazu beitragen, den Kiefer zu verschleiern und dieser damit schwieriger anzuvisieren ist.

Cat Content und Kakerlaken

Auf dem Gebiet der Katzenforschung tat sich die schwedische Phonetikerin Susanne Schötz hervor, die selbst mit fünf Katzen zusammenlebt und Autorin mehrerer Bücher zur Mensch-Katzen-Kommunikation ist. Sie beschäftigt sich mit allen Lauten, die Katzen so von sich geben – etwa Miauen, Schnurren, Fauchen, Knurren, Zwitschern und Grummeln – kurzum, mit ihrer "Miausik" (meowsic). Ihren Nachforschungen zufolge können die Stubentiger nicht nur schnurren, wenn sie sich wohl fühlen, sondern auch bei Angst oder Stress.

Ein bemerkenswerter Forschungsfokus: Geräusche, die Katzen von sich geben.
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Wenn Katzen Futter wollen, so steigt die Tonhöhe ihrer Laute am Ende meist an. Bei Angst und Nervosität – vor einer Reise, beispielsweise – sinkt die Tonhöhe tendenziell. Und Menschen sind gar nicht so schlecht darin, die Emotionen der Tiere zu interpretieren: Als die Forscherin 30 Personen verschiedene Arten des Miauens vorspielte, konnten sie anhand der Intonation die meisten Laute richtig zuordnen. Am besten schnitten naheliegenderweise jene Personen ab, die selbst Katzen besitzen und daher gut "eingelernt" sind.

Mit größeren Tieren beschäftigte sich ein internationales Forschungsteam: Es stellte fest, dass der Transport betäubter Nashörner, die auf einer Seite liegen, wohl nicht so gesund ist wie die luftige Alternative, sie an den Beinen zusammenzubinden und kopfüber per Hubschrauber zu befördern. Und eine bereits 1971 veröffentlichte Studie erarbeitete eine damals neue Methode, Kakerlakenpopulationen auf U-Booten zu kontrollieren; das giftige Insektizid wurde in der EU aber bereits verboten. Weitere Auszeichnungen gingen an Forschende, die experimentell untersuchten, warum Menschen auf Gehsteigen nicht permanent zusammenstoßen, und an solche, die feststellten, warum dies doch manchmal geschieht (kurze Antwort: es liegt an Smartphones).

Sex statt Nasenspray

Andere Gehsteiggegebenheiten analysierte eine spanisch-iranische Forschungsgruppe: Sie verglich die Bakterien in Kaugummiresten, die die Beteiligten in verschiedenen Ländern vom Boden kratzten. Die Ergebnisse könnten nicht nur bei der Beseitigung des Kaugummis helfen, sondern auch bei forensischen Analysen und der Kontrolle ansteckender Krankheiten, schreiben sie.

Der Medizin-Ig-Nobelpreis ging allerdings an ein Forschungsteam mit deutscher Beteiligung, das zeigte, dass Orgasmen kurzfristig die Nase frei machen. Entsprechend kann Sex als Alternative zu Nasensprays angewandt werden, da ein Orgasmus eine ähnlich starke Wirkung hat – diese allerdings nur etwa eine Stunde lang anhalten dürfte. Die Idee kam dem Oberarzt Cem Bulut aus Heilbronn im Zuge eigener Erfahrungen – er befürchtet allerdings, dass sich manche der Probanden im Zuge der Studie nicht ganz auf das Gerät konzentrieren konnten, das den Luftstrom maß.

In der entsprechenden Studie geht das Team auch auf Sigmund Freuds besten Freund Wilhelm Fließ ein, der 1897 über eine physiologische Verbindung zwischen Nase und Genitalien schrieb. Woran könnte der freimachende Effekt des Orgasmus aber liegen? Bulut hat mehrere Faktoren in Verdacht: "Ich denke, es ist eine Mischung aus Erregung, körperlicher Anstrengung und hormonellen Veränderungen, die mit einem Orgasmus einhergehen."

Korruption und Korpulenz

Eine weitere prämierte Studie bietet sich wohl ebenfalls für psychoanalytische Auseinandersetzungen an: Der Wirtschaftsprofessor Pavlo Blavatskyy, der einst auch an der Universität Innsbruck forschte, fand einen Zusammenhang zwischen der Körperfülle von Politikerinnen und Politikern und der Korruption im Land. Basierend auf Portraitfotos ließ er durch Machine-Learning-Algorithmen den Body Mass Index (BMI) von 299 Regierungsmitgliedern in 15 postsowjetischen Staaten schätzen und untersuchte die Daten in Verbindung mit dem Länder-Korruptionsindex der Weltbank.

Die errechnete Korrelation ist stabil, eine Erklärung dafür liefert Blavatskyy nicht. Ob solche Daten tatsächlich als Näherungsvariablen Anwendung finden werden, ist fraglich – der Wirtschafts-Ig-Nobelpreis ist Blavatskyy jedoch sicher. (Julia Sica, 12.9.2021)