Im Westen startet die Schule, im Osten ist seit einer Woche Unterricht – an vielen Wiener Schulen mit weniger Ressourcen.

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Als der Wiener Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr (Neos) knapp vor den Sommerferien seine Pläne für eine Reform der Lehrstundenverteilung präsentierte, war die Aufregung an vielen Schulen groß. Plötzlich hatten zahlreiche Standorte mit Einsparungen zu kämpfen, Direktorinnen und Direktoren fürchteten das Aus für langjährige Schulschwerpunkte – und das war erst der Anfang. Diesmal kommt noch der sogenannte "Übergangszuschlag" zum Einsatz, der die Kürzungen abfedern soll. Nächstes Jahr fällt der dann genauso weg wie die 2.200 Extrastunden, die Wiederkehr inmitten der Empörung draufgelegt hat, um "Härtefälle" abzumildern.

Reform unter der Lupe

Ist das gelungen? Und steigt wirklich jede "Indexschule", also jene Standorte, zu denen laut Bildungsdirektion – basierend auf den Ergebnissen der Bildungsstandards plus Erhebungen zum sozioökonomischen Status der Eltern – besonders viele Ressourcen fließen sollten, jetzt besser aus?

Dem Standard liegt eine Liste vor, anhand derer für alle Volksschulstandorte in Wien abgelesen werden kann, wer ab heuer mit mehr und wer mit weniger Lehrerstunden auskommen muss, wer noch einmal nachbessern konnte, aber auch, wer trotz Index künftig weniger personellen Spielraum hat als zuvor.

Etwas mehr Gewinner als Verlierer

Unter den insgesamt 271 Volksschulstandorten in der Hauptstadt gibt es laut diesem Listenstand etwas mehr Gewinner als Verlierer der Reform. Auch bei den Indexschulen steigen fast zwei Drittel besser aus als zuvor. Allerdings muss auch hier rund ein Drittel der Standorte mit weniger Personalstunden das Auslangen finden. Ein exemplarischer Blick in den zehnten Wiener Gemeindebezirk: Für 13 Schulen gibt es 671 zusätzliche Stunden, gleichzeitig müssen 16 Schulen in Favoriten heuer mit 336 Stunden weniger auskommen.

In der Bildungsdirektion will man solche Berechnungen nicht zum Anlass nehmen, um die Treffsicherheit des Systems noch einmal genauer unter die Lupe zu nehmen. Neos-Bildungsstadtrat Wiederkehr äußert sich dazu aktuell nicht. Ende Juni begründete er mögliche nachteilige Effekte für Indexschulen im Interview mit dem Standard damit, dass es in diesen Fällen weniger Klassen als im Vorjahr gibt. Was stimmt: Unter jenen Schulen, die trotz Index verlieren, sind tatsächlich auch solche, die mit deutlich weniger Anmeldungen ins neue Schuljahr starten – trotz insgesamt steigender Schülerinnen- und Schülerzahlen in Wien. Wo Theorie und Praxis auseinanderklaffen: Wiederkehrs Garantie, dass "jede Schule mit besonderen Herausforderungen zusätzliche Ressourcen erhält", hält im Volksschulbereich nicht.

Wer fällt in den "Härtefall"-Topf?

Wofür es eigentlich mehr Mittel geben sollte, was aber kaum Einfluss auf die Stundenverteilung hatte, ist der Bereich Projekte. Nur ausgewählte Direktorinnen und Direktoren haben es geschafft, hier Stunden herauszuschlagen – konkret 55 von 271. Da sind die 2.200 Extrastunden bereits einberechnet. Apropos: Welche Kriterien mussten erfüllt werden, um aus dem "Härtefall"-Topf noch Stunden zu lukrieren? Das sei in Gesprächen zwischen Schulleitung und Schulqualitätsmanager (früher: Schulaufsicht) geklärt worden, heißt es dazu aus der Bildungsdirektion.

Zwei weitere Punkte sind bei der Reform zentral: Mehr Kinder pro Klasse bringen mehr Mittel ein. Genau das ist aber laut öffentlichem Bekunden nicht das Ziel der Neos. Außerdem hat die Neuverteilung große Auswirkungen auf das Modell der verschränkten Ganztagsschulen. Viele von ihnen verlieren spätestens mit dem Wegfall des "Übergangsbonus" weitere Lehrerstunden. Diese müssen folglich von Freizeitpädagoginnen übernommen werden. "Ich habe das Gefühl, hier wird still und heimlich ein Systemwandel eingeläutet", äußert ein Schulleiter im Standard-Gespräch seine Bedenken. Das Wechselspiel zwischen Lern- und Freizeitphasen, wie es in diesem Schulmodell vorgesehen sei, werde damit mehr oder weniger verunmöglicht.

"Notwendige Entscheidung"

In der Bildungsdirektion formuliert man es so: Dieser Effekt sei weniger "eine bewusste, sondern vielmehr eine notwendige Entscheidung" – und dem akuten Lehrerinnenmangel geschuldet. Grundsätzlich hält man die neue Art der Stundenverteilung hier für "gerecht" und notwendig. Genau das betonen auch die Neos. Noch ein Blick in die Liste: Rund 45 Prozent der öffentlichen Volksschulen müssen ab heuer mit Kürzungen leben, bei den privaten sind es etwas mehr als 30 Prozent.

Die Notwendigkeit, bei der Lehrstundenverteilung mehr Licht ins Dunkel zu bringen, sehen selbst Kritiker. Über die Frage, ob das gelungen ist und ob der Systemwandel auch mehr Gerechtigkeit mit sich bringt, lässt sich allerdings streiten. Etwa heute, Montag – auf Initiative der Grünen ist die Reform Thema eines Sonderlandtags im Wiener Rathaus. (Karin Riss, 13.9.2021)