Wo anfangen, wo aufhören? Der Minister lehnt Selbstbehalte ab.

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Wien – Die angekündigte Mega-Demo ist ausgeblieben. Rund 1000 Menschen versammelten sich am Samstag am Wiener Hauptbahnhof und zogen von dort Richtung Karlsplatz, wo eine Kundgebung angesetzt war – schlussendlich laut Polizeiangaben mit rund 2000 Teilnehmern. Sie wetterten gegen die Corona-Maßnahmen, warnten vor einer Impfpflicht und sprachen sich generell gegen die Politik der türkis-grünen Bundesregierung in Sachen Corona-Management aus.

Impfverweigerer – sie sind es auch, die zum Handkuss kommen würden, sollte der derzeit debattierte Selbstbehalt für Ungeimpfte bei Spitalsbehandlungen eingeführt werden. Hintergrund des Gedankens ist, dass vor allem Ungeimpfte die Intensivstationen füllen – neun von zehn Intensivpatienten sind nicht immunisiert.

Entstanden ist die Diskussion darüber, weil Christiane Druml, die Chefin der Bioethikkommission, in einer Puls-4-Sendung darauf hingewiesen hat, dass eine solche Diskussion wohl kommen werde – das Wort Selbstbehalte habe sie aber in diesem Zusammenhang nicht erwähnt, sagt sie im Gespräch mit dem STANDARD. Auch sei "aus ethischer Sicht die Differenzierung nicht akzeptabel". In manchen Medien – etwa dem ORF-Radio – kommt das aber umgekehrt rüber.

"Büchse der Pandora"

In die Realität umgesetzt dürfte der Vorschlag aber nicht werden. Der Obmann der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK), Andreas Huss, warnte im Ö1-"Frühjournal" am Sonntag davor, "die Büchse der Pandora" zu öffnen. Das Gesundheitssystem sehe keine Selbstbehalte für durch persönliches Verhalten herbeigeführte medizinische Behandlung vor. Das zu ändern, "würde mir ein bissel zu weit gehen" und zu weiterer Entsolidarisierung führen, verwies er darauf, dass in der Sozialversicherung das Versicherungsprinzip gilt. "Wo fängt das an, wo hört das auf?" Rede man über Selbstbehalte, werde sich auch die Frage stellen, ob etwa Raucher mit Lungenkarzinom Selbstbehalt zahlen müssen.

So sieht es auch Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne), der schon in den Tagen zuvor klargemacht hat, dass dies "eine Diskussion ist, die ich nicht führen will". Auch er verwies auf die Konsequenzen: "Wo fangen wir an? Wo hören wir auf? Was ist mit Rauchern oder Übergewichtigen?"

Keine Zeit für Entwarnung

Am Sonntag wurden 1857 Neuinfektionen vermeldet. Im Vergleich zu den vergangenen Tagen ein niedrigerer Wert – allerdings fallen die Zahlen am Wochenende stets geringer aus. Keine Zeit für Entwarnung, im Gegenteil. Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) sagte am Samstag, die "sehr stark steigenden Zahlen" würden eigentlich erfordern, dass man die drei geplanten Stufen zusammenfasst und österreichweit "sehr zeitnah umsetzt". Er sei "überzeugt, dass wir sehr viel konsequenter vorgehen müssen". Die von der Bundesregierung geplanten "Einschleifregelungen" seien nicht mehr angebracht, sagte er am Samstag im Ö1-"Mittagsjournal".

Die Infektionszahlen würden "in manchen Bereichen explodieren, auch in Spitälern" und unter jungen Menschen. Damit sieht der Bürgermeister den konsequenteren Wiener Weg bestätigt – und drängte die anderen Länder und den Bund, jetzt so schnell wie möglich "österreichweit über die Bundesländergrenzen hinweg" den ganzen Dreistufenplan umzusetzen.

Die am Mittwoch verkündete Stufenregelung gestaltet sich je nach Auslastung der Intensivstationen. Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein verteidigte diesen Plan mit dem Hinweis darauf, dass Beschlüsse nur umgesetzt würden, wenn sie auf breiter Basis getroffen werden. Dass in Stufe zwei und drei Maßnahmen erst sieben Tage nach Überschreiten der Grenzwerte in Kraft treten – was reihum für viel Kritik gesorgt hat –, begründete er damit, dass dies "transparent" sei.

Es brauche Zeit, bis die Maßnahmen der Bevölkerung kommuniziert werden können.

Antikörper im grünen Pass

Für eine bundesweite Antikörperstudie sprach sie am Sonntag die Innsbrucker Virologin Dorothee von Laer aus. Sie schlägt im Interview mit der "Tiroler Tageszeitung" vor, 5000 Menschen an repräsentativen Orten zu testen, um Informationen über Antikörperwerte zu erhalten. Dieser werde auch Einzug in den grünen Pass finden, ist sie überzeugt. (APA, cs, rwh, 12.9.2021)