Es war kurz vor dem Krieg, als Faiza al-Bakr zum ersten Mal ein Gefühl von Freiheit in ihrem Heimatland Saudi-Arabien verspürte. Sie weiß noch das exakte Datum: am 6. November 1990. Der Irak hatte damals Kuwait überrannt, der Zweite Golfkrieg lag in der Luft. Zehntausende Gastarbeiter verließen Saudi-Arabien schlagartig. Es gab auf einmal keine Chauffeure mehr. Aus dieser Not und aus dem Wunsch heraus, etwas freier zu sein, setzte sich die junge Soziologin al-Bakr so wie ein Dutzend anderer saudischer Frauen an diesem Tag hinter das Steuer eines Autos und fuhr los.

Die Protestaktion gegen das Frauenfahrverbot dauerte kurz: Al-Bakr und ihre Mitstreiterinnen wurden angehalten und verhaftet. "Aber ein Funke im Kampf für mehr Frauenrechte war gezündet", erinnert sich al-Bakr. Heute soll sie in einem schicken Hotel in Riad österreichischen Journalisten erzählen, wie es Frauen in Saudi-Arabien geht. Was sie zu sagen hat, wirkt erstaunlich: "Es hat sich extrem viel verändert", – zum Besseren.

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Saudi-Arabien hat sich dem Wandel viele Jahrzehnte widersetzt. Die Erfordernisse der Wirtschaft haben die Trendwende eingeläutet.
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Veränderung ist derzeit das Stichwort, wenn es um Frauen in Saudi-Arabien geht. Das Land hat sich dem Wandel viele Jahrzehnte widersetzt und Frauen nicht nur von der Mobilität, sondern auch vom Arbeitsmarkt weitgehend ausgeschlossen. Bis vor kurzem war beschränkt, welche Berufe Frauen ergreifen und was sie studieren durften. Industrie, Bauwirtschaft waren tabu. Inzwischen ist das aufgehoben. Frauen dürfen nun ohne Zustimmung eines Mannes reisen, Jobs annehmen, einen Pass beantragen. Seit 2018 ist Autofahren für sie gestattet. Saudi-Arabien hat vor kurzem ein Gesetz gegen die Diskriminierung von Frauen verabschiedet und eines gegen sexuelle Belästigung.

Wachsende Erwerbstätigkeit

Im Westen gilt das Land immer noch als Paradebeispiel einer arabischen Gesellschaft, in der Frauen keine Rechte haben. Aber es hat sich etwas getan: 2018 waren gerade 20 Prozent der saudischen Frauen erwerbstätig. Heute sind es laut Analyse des Washingtoner Thinktanks Brookings 33 Prozent. Die Weltbank erstellt regelmäßig einen "Women, Business and the Law"-Index. Dabei bewertet sie, ob Frauen in Job, Familie und Gesellschaft die gleichen Rechte haben wie Männer. Saudi-Arabien schneidet dabei im Verhältnis zu anderen arabischen Ländern seit neuestem gut ab: Von 100 Punkten im Index bekommt das Land 80. Jordanien erhält nur 46,9, Libanon, Bahrain, Pakistan um die 55 Punkte.

Die Entwicklung dürfte weniger von moralischen Überlegungen der Machthaber getragen sein als von wirtschaftlichen Erfordernissen. Die saudische Wirtschaft ist in den vergangenen Jahren stetig gewachsen. Fast die Hälfte der Wirtschaftsleistung und 70 Prozent der Exporteinnahmen kommen immer noch aus dem Verkauf von Erdölprodukten.

Die Wirtschaft soll diverser werden. Für all das braucht es qualifizierte Arbeitskräfte abseits billiger und oft nicht speziell ausgebildeter Gastarbeiter.
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Doch Saudi-Arabiens Wirtschaft soll diverser werden. Das Königshaus rund um den Kronprinzen Mohammed bin Salman will private Investitionen in Tourismus und erneuerbare Energien forcieren, eine Industrie abseits der Ölfelder aufbauen. "Vision 2030" nennt sich das Programm. Das Land sei bereits diverser geworden, erzählt einem jeder, den man in Riad fragt. In der Hauptstadt tummelt sich eine kaufkräftige Mittelschicht in luxuriösen Einkaufszentren. Die großen Straßen sind gesäumt von Restaurants und Fastfood-Ketten. Für all das braucht es qualifizierte Arbeitskräfte abseits billiger und oft nicht speziell ausgebildeter Gastarbeiter aus den Philippinen, Indien oder Pakistan, die hier sonst schuften.

Arbeitskräfte fehlten

"Wir waren in Panik", sagt Nadir al-Koraya, Vizepräsident der saudischen Riyad Bank. Ohne neue, gut ausgebildete weibliche Arbeitskräfte hätte die Wirtschaft rasch den Plafond erreicht. Er hat die Vorgabe, dass ein Drittel seiner Beschäftigten Frauen sein müssen. Mehr Frauen am Jobmarkt sind auch für westliche Multis willkommen. Für sie ist es oft schwierig, westliche Mitarbeiter hierherzubekommen.

Die Aufbruchstimmung will auch Außenminister Alexander Schallenberg nutzen, der am Sonntag mit einer Wirtschaftsdelegation in Riad unterwegs war, um Türen zu öffnen, und unter anderem den Investitions- und Außenminister getroffen hat. "Saudi-Arabien ist im Wandel. Auch wenn kein Zweifel daran besteht, dass wir, was Frauenrechte anbelangt, noch lange nicht dort sind, wo wir hinwollen. Hier müssen wir sie darin bestärken, die ersten wichtigen Schritte noch zu verstärken. Gerade dafür können österreichische Unternehmen ein wichtiger Impulsgeber sein", sagt Schallenberg.

Trotz der Öffnung bleiben Schattenseiten. Viele traditionell denkende Männer wollen nicht, dass ihre Frauen arbeiten oder Auto fahren oder sich andere Freiheiten nehmen.
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Der Weg ist tatsächlich noch weit, denn es bleiben viele Schattenseiten. Die Erwerbsquote in Saudi-Arabien ist immer noch halb so hoch wie in den meisten europäischen Ländern. Frauen dürfen zumeist nur auf eigenen, separaten Fakultäten studieren. Das Land bleibt vor allem politisch völlig unfrei, was gerade Frauen zu spüren bekommen: Mehrere Frauenaktivistinnen wurden verhaftet, dar unter bekannte Persönlichkeiten wie Samar Badawi und Nassima al-Sadah, die erst vor wenigen Wochen nach einer fast dreijährigen Haft freigelassen wurden. Das Regime will sich nicht dreinreden lassen, wann und wie weit es die Schrauben lockert.

Und es bleiben soziale Hürden, wie Khlood Aldukheil, die bei der saudischen Wirtschaftskammer arbeitet, erzählt. Viele traditionell denkende Männer wollen nicht, dass ihre Frauen arbeiten oder Autofahren, Regeln hin oder her. Letzteres bleibt auch in den Straßen von Riad noch eine Ausnahme. Und viele der Frauen seien selbst noch zurückhaltend. (András Szigetvari aus Riad, 13.9.2021)