Eine Mutter (Anne Wiederhold) schildert die durch die Verstrahlung ausgelöste Krankheit ihres Sohnes.

Bettina Frenzel

Wien – In den 1990er-Jahren führte die spätere Nobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch hunderte Gespräche mit unmittelbar von der Atomkatastrophe von 1986 in der Ukraine Betroffenen. Die Theaterproduktion Tschernobyl. Eine Chronik der Zukunft im Odeon erinnert in einer raumgreifenden Inszenierung von Alireza Daryanavard an die Fatalität dieses angesichts neuer Umweltkrisen zunehmend ins Hintertreffen rückende, aber global um nichts weniger folgenschwere Ereignis.

Es ist ein Abend mit unmissverständlicher Message – er endet mit dem Hereintragen großflächiger Transparente, die das engmaschige europäische AKW-Netzwerk in Zahlen bedrückend vor Augen führen.

Leiden in der Sperrzone

Erzählen will Daryanavard aber vom Leid der der Gleichgültigkeit von Regierungen ausgelieferten Menschen: von einem zurückgelassenen Vater (Sebastian Pass), vom Erdäpfelbauern und seinen verstrahlten Knollen (Thomas Frank), von der verseuchte Tiere tötenden Jägerin (Simonida Selimović), von der Mutter eines schwerkranken Kindes (Anne Wiederhold), von einer Waldfrau (Grace Marta Latigo) oder einer männlichen Mutter Courage (Morteza Tavakoli).

Tschernobyl verständigt sich also über etwas, worüber sich gar nicht streiten lässt – das ist die Schwäche des symbolträchtig mit Schrotthaufen, Wäscheberg u. a. bebilderten Abends des Kollektivs Hybrid und des Werks X Petersplatz. Man kann den in Finsternis und Nebel und eindringlichen Erzählstimmen vom Band getauchten Schrecken ja nur bezeugen.

Die sorgsame, zeitlose Machart dieser Collage weckt aber Interesse am Buch Alexijewitschs und den darin versammelten detaillierten Berichten aus erster Hand. (afze, 13.9.2021)