Zum ersten Mal seit Jahren spürt der Besucher in Budapest, dass viele Menschen auf eine Ablösung der seit elf Jahren regierenden Fidesz-Partei von Ministerpräsident Viktor Orbán bei der Parlamentswahl April 2022 hoffen und sogar bereit sind, an den am Samstag beginnenden Vorwahlen für die Aufstellung von gemeinsamen Kandidaten des Oppositionsbündnisses in allen 106 Wahlkreisen teilzunehmen.

Der gemeinsame Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten soll nach zwei Wahlgängen gekürt werden: Nach der ersten Vorwahl zwischen den fünf Kandidaten, die je mehr als 20.000 Unterstützungserklärungen vorweisen konnten, treten dann die drei Bestplatzierten in einem zweiten Wahlgang auf.

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Budapests Oberbürgermeister Gergely Karácsony führt die Liste der chancenreichsten Kandidaten bei der Vorwahl für das Amt des Regierungschefs an.
Foto: REUTERS/Bernadett Szabo

Ein solches Anti-Orbán-Bündnis der Oppositionsparteien konnte im Herbst 2019 bei den Kommunalwahlen trotz der Kontrolle der meisten Medien durch die Regierungspartei dem grün-liberalen Politiker Gergely Karácsony ins Amt des Oberbürgermeisters verhelfen.

Auch diesmal bietet das Bündnis aus sechs Oppositionsparteien, mit seinem Wahlprogramm für die Wiederherstellung der Pressefreiheit und der Unabhängigkeit der Justiz, zur Verhinderung der systembedingten Korruption, die einzige Chance, Fidesz zu schlagen.

Laut allen Umfragen führt Oberbürgermeister Karácsony auch die Liste der chancenreichsten Kandidaten bei der Vorwahl für das Amt des Regierungschefs an. Die Meinungsforscher bestätigen, dass der 45-jährige Politologe und Meinungsforscher mit einer sauberen Weste im korrupten Dschungel der ungarischen Politik zweifellos am besten geeignet ist, die Unentschiedenen oder die von der Kleptokratie des Orbán-Regimes enttäuschten, früheren Fidesz-Wähler zu gewinnen.

Bbewährtes Feindbild

Die schillernde Kandidatin der von dem sozialistischen Ex-Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsány gegründeten linken "DK"-Partei, Klára Dobrev (49), seit 2019 Mitglied und Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, liegt im Beliebtheitsbarometer nur knapp hinter Karácsony. Hochbegabt, sprachkundig und rhetorisch hervorragend kann sie die entschlossenen Gegner Orbáns mobilisieren.

Wegen ihres persönlichen Hintergrunds wird sie aber laut Umfragen von den für den Wahlausgang entscheidenden Schichten in der politischen Mitte, mehr als jeder andere Kandidat, abgelehnt. Ihr Großvater war sein Leben lang Spitzenfunktionär des kommunistischen Kádár-Regimes, und sie ist die Frau des früheren Ministerpräsidenten Gyurcsány, der seit seiner berüchtigten "Lügenrede" vor 15 Jahren (mit dem Eingeständnis, dass die siegreichen Sozialisten die Wähler irregeführt hatten) als bewährtes Feindbild für die Orbán-Partei dient.

Bereits jetzt versucht die Regierungspartei mit einer bizarren Unterschriftenkampagne, "Stop Gyurcsány – Stop Karácsony", den Bürgermeister als Handlanger des symbolträchtigen Urfeindes zu kompromittieren. Eine Ministerpräsidentenkandidatin Klára Dobrev wäre also eine ideale Zielscheibe für die Fidesz-Propagandamaschine.

Ex-Regierungschef Gordon Bajnai, der die Wirtschaftskrise 2009–2010 gemeistert hatte, sprach sich kürzlich wohl deshalb für Karácsony als den geeignetsten Kandidaten aus. Er hat recht. (Paul Lendvai, 14.9.2021)