Im Hof der früheren Alpenmilchzentrale darf Wien ein bisserl Kopenhagen, London, Tel Aviv sein. Die Stadt hat im Vergleich ja nur wenig zentrumsnahe Industrierelikte, die gepflegt verwittern, Raum für Künstler und junge Selbstständige bieten und gleichzeitig zeitgemäße Gastronomie zu Boheme-tauglichen Preisen propagieren. Umso heikler reagieren Anrainer und Nutznießer, wenn sich in solch raren Biotopen Veränderung anbahnt.

Als das Lokal im Hof jetzt von den bisherigen Betreibern zurückgegeben wurde und ein Team aus der Innenstadt (wäh!) den Zuschlag bekam, war dementsprechend Feuer am Dach. Tatsächlich stehen Andreas Lux und Gerald Rose auf dem Papier für eine ganz andere Gastronomie als die explizit auf Niederschwelligkeit angelegte Idee des Lokals im Hof: Die beiden waren als Sommelier und Souschef im Team von Mayer & Freunde, der hochexklusiven Innenstadttränke von Sternekoch Alexander Mayer. Ein Lokal, in dem während des Lockdowns Fischsuppen im Rex-Glasl um schlappe 34 Euro an die Kundschaft gebracht wurden, lässt sich auch von Anarcho-Gourmets nur schwer als demokratisch verkaufen.

Confierter Schweinebauch, butterzart mit vornehmem Kruspel, ist ideal saftig gebraten, dazu gibt es richtig gute Rote und Chioggiarüben.
Foto: Gerhard Wasserbauer

Das Bistro in der Jasomirgottstraße ist inzwischen Geschichte, dem Vernehmen nach ist Mayer schon an einer neuen, weniger streng nach Geld duftenden Adresse dran. Die Sorgen der Im-Hof-Community wegen Lux und Rose scheinen einstweilen unbegründet. Die Mittagsteller (7,90–9,90 Euro) sind unverändert sozial kalkuliert, auch abends wagt sich die Karte nicht über die 20-Euro-Schwelle. Okay, beim Wein wurde ein bissl angezogen, dafür ist jetzt aber auch guter Stoff in den Gläsern.

Lux ist ein wunderbarer Sommelier, ohne Dogmatismus, unbekümmert zwischen Klassik und wagemutiger Abenteuerlust changierend. Richtig guter Wein muss nicht viel kosten, zwischen günstig und preiswert ist aber ein Riesenunterschied. Im Hof ist das Angebot – noch – nicht groß, zeugt aber schon von Finesse und Feingefühl.

Naturwein-Ikone Christian Tschida ist drauf, das erfrischende Wachau-Projekt Höll auch, viele Namen der jungen Austro-Elite von Ambrositsch bis Herbert Zillinger sowieso. Aber auch großartige Flaschen aus Frankreich, aus Ungarn, richtig tolles (und wohlfeiles!) Zeug aus der Champagne.

Gut versumpern

Man kann hier also extrem gut versumpern, und die Küche von Gerald Rose liefert dafür die Unterlage. Dashibrühe mit drall gefülltem Pilztascherl ist an Abenden, wo man trotz einfallenden Abendhauchs noch draußen sitzen will, ein idealer Start: leicht, von innen wärmend, mit köstlicher Pilzfülle. Sellerie, im Ganzen gebraten, dünn aufgeschnitten und mit einer süßsauren Salsa lackiert, wird mit rohem Stangenzeller, sauer frischem Apfelrelish und ein paar Croutons zur fein konturierten Vorspeise.

Das tolle Lokal im beschaulich verwitterten Innenhof der Alpenmilchzentrale auf der Wieden blieb gleich, wurde aber neu.
Foto: Gerhard Wasserbauer

Gebeizte Lachsforelle hat fast schon Mayer-Klasse: Ganz wunderbar fruchtige Marinade mit geradezu prickelndem Säurespiel, knackige Karotte und zarter, roher Fisch – der schwächelt im Zusammenspiel aber ein wenig und kann auch sein Teich-Aroma nicht ganz verbergen. Aber wilder Zander wie bei Mayer ist halt sauteuer, und man will es sich mit den Stammgästen nicht verscherzen.

Confierter Schweinebauch (siehe Bild), butterzart mit vornehmem Kruspel, ist ideal saftig gebraten, dazu gibt es richtig gute Rote und Chioggiarüben. Auch bei Hühnerbrust muss keiner Angst haben: Das gefährliche Fleisch wird meisterhaft saftig gegart, mit knuspriger Haut und samtig süßem Pastinakenpüree, das Rose mit knackigen, säuerlichen Birnen kombiniert. Feherburgundi vom großen Franz Weninger gibt es glasweise auf der Karte – der passt dazu wie angegossen. (Severin Corti, RONDO, 17.9.2021)

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