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"Haben Sie Probleme mit der Schilddrüse?", wurde mein Freund K. von einer Unbekannten in himbeerfarbenen Pumps gefragt. Wir standen auf einer dieser Zurück-ins-pralle-Leben-Partys. Outdoor, 3G, köstliches Grillbuffet. Der Spätsommer meinte es gut mit uns, bis weit in den September hinein.

Trotzdem sprach aus Miss Himbeer-Schuh der ungefilterte Neid. K. ist nämlich das, was man im modernen Dating-Gewerbe unter einer Belohnung versteht: Mandelaugen, schmale Hüften, Sixpack aus Stahl. Auf dem Sunset Boulevard würde man so einem hinterherrufen: "What a man!" – Auf unserer Austro-Party hingegen, da empfand man K. mit seinem Body-Mass-Index als hinterfotzige Provokation.

Der gemütliche Planet

War das noch normal? Nach diesem endlosen Lockdown-Jahr, wie konnte ein Mensch da so gertengleich in der Landschaft herumstehen? Der Rest von uns, nun ja. Gefühlte tausend Nächte war man mit einem Kübel Häagen-Dazs vor dem Netflix-Apparat herumgesessen.

Das Spiel auf dem Sommerfest ging daher so: Wen erkennt man noch auf Anhieb? Auffallend viele Gäste trugen lockere Kaftans oder Hawaii-Hemden. – "Ich fühle mich, als hätte ich eine kleine Kommode verschluckt", gestand ich meiner Freundin M. – "Drauf gepfiffen, Liebes! Ich glaube, dass seit Corona der ganze Planet schwerer geworden ist", entgegnete sie und nippte majestätisch an ihrem Sundowner.

Oberpullendorfer Strähnen

In Wirklichkeit war es natürlich langweilig, über Gewichtsklassen nachzudenken. Überhaupt: Gab es nicht zahllose andere Möglichkeiten, um sich für ein Comeback in diesem Herbst hochzujazzen? Man konnte sich zum Beispiel die Zähne aufhellen lassen!

Todesmutig vereinbarte ich einen Termin. Letzten Dienstag war es so weit: Ich saß auf dem Behandlungsstuhl. Silikonauflagen wurden in meinen Mund gestopft, ich bekam kaum mehr Luft. Dann zückte die Zahnärztin die Gel-Spritze. Röchelnd fragte ich: "Was genau kommt da jetzt drauf?" – "Wasserstoffperoxid, 40 Prozent." – Ich wusste: Haare färbt man mit sechs Prozent, schon das konnte die Kopfhaut zum Kribbeln bringen.

Der Preis für das bisschen Schönheit war mir zu hoch. Feige sprang ich auf und rannte schnell davon. – Im Gegensatz zu mir hat es meine Nachbarin durchgezogen: Weil in Wien kein Friseurtermin mehr frei war, ließ sie sich in Oberpullendorf Strähnchen machen. "Genau so, bitte", sagte sie und zeigte auf ein Foto von Kristen Stewart. – "Ja, das ist Hollywood", stöhnte die burgenländische Fachkraft unbeeindruckt. "Wir hier sind ganz normale Menschen." (Ela Angerer, RONDO, 28.9.2021)