Der tragische Anschlag auf das World Trade Center öffnete zugleich Tür und Tor für staatliche Überwachung.

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Der Anschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001 war ein tragisches Ereignis, das zugleich den Weg für weitreichende Maßnahmen der staatlichen Überwachung eröffnete. Fliegen ist aufgrund der zahlreichen Sicherheitschecks nicht mehr das Gleiche wie vor dem verheerenden Anschlag, Überwachungskameras prägen das Bild der Großstädte – und vor allem die Online-Überwachung der Aktivitäten auch unbescholtener Bürger nahm nach dem 11. September 2001 gänzlich neue Dimensionen an.

Besonders stark zeigte sich dies in den USA, wo die Angst vor einem weiteren Anschlag die Bereitschaft der Menschen für stärkere präventive Sicherheitsmaßnahmen förderte. So zeigt eine fortlaufende Befragung des Pew Research Center seit dem Jahr 2004, dass der Großteil der Befragten meist eher der Meinung ist, dass der Staat nicht genug Überwachung leiste, um das Land zu schützen – nur eine Minderheit hingegen ist der Meinung, dass der Staat zu weit gehe. Umgedreht waren diese Vorzeichen einzig für einen kurzen Zeitraum, als Osama Bin Laden für tot erklärt worden war und Edward Snowden die Machenschaften der NSA aufgedeckt hatte.

Der "Patriot Act" als Wegbereiter

Die Ängste der Menschen waren der Grund dafür, dass der USA Patriot Act mit recht wenig Widerstand verabschiedet werden konnte – und zwar nur 45 Tage nach dem Anschlag auf das World Trade Center. Aufdeckungen des Whistleblowers Edward Snowden zeigen, dass es Pläne zur weitreichenden Überwachung bereits am 14. September 2001 – also schon drei Tage nach dem Anschlag – gab. Das Gesetz gilt als rechtliches Fundament für die verstärkte Überwachung innerhalb der USA, wie unter anderem die American Civil Liberties Union (ACLU), eine NGO in den USA, darlegt.

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George W. Bush beim Unterzeichnen des Patriot Act.
Foto: Reuters/KEVIN LAMARQUE

Das Gesetz erleichterte es dem Staat, im Sinne der nationalen Sicherheit Telefon- und E-Mail-Konversationen abzuhören sowie die Aktivitäten der Bürgerinnen und Bürger im World Wide Web zu überwachen. Auch Bank- und Bonitätsdaten konnten auf dieser Basis gesammelt werden. "Während die meisten Amerikaner glauben, dass der Patriot Act geschaffen wurde, um Terroristen zu fangen, werden in Wahrheit Durchschnittsbürger zu Verdächtigen gemacht", heißt es auf der Website der ACLU.

Kernelement sind dabei die "National Security Letters" (NSLs). Sie wurden ohne richterliche Zustimmung vom FBI ausgegeben und berechtigten dazu, die entsprechenden Daten zu sammeln. Der Patriot Act sah nicht vor, dass diese Informationen zerstört werden – auch dann nicht, wenn die untersuchte Person unschuldig ist.

Mehr Kameras ...

In den darauffolgenden Jahren wurde die Überwachungsinfrastruktur ebenso wie das Budget der Geheimdienste aufgestockt. So heißt es in einem Artikel des Technologiemediums "Wired", dass die New Yorker Polizei alleine in Manhattan, Brooklyn und der Bronx 15.000 Sicherheitskameras betreibt. Hinzu kommen 20.000 private Sicherheitskameras, auf welche die Polizei Zugriff hat. Vor dem 11. September 2001 gab es in ganz Manhattan hingegen nur 2.400 Sicherheitskameras – das schließt private ebenso wie jene der Polizei mit ein.

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Foto: AP/Mark Lennihan

Im Jahr 2019, heißt es in einem Bericht von "The Verge", gab es in den USA – so wie in China – pro vier Bürger eine Überwachungskamera. Rund 85 Millionen Kameras soll es im ganzen Land geben. Im Jahr 2010 war diese Zahl laut einem Bericht des "Guardian" noch bei rund 20 Millionen gelegen.

... und mehr Budget für die Geheimdienste

Parallel dazu ist auch das Budget für die Geheimdienste gestiegen, wie es im Bericht des "Guardian" zum 20. Jahrestag des Terroranschlags heißt. War das Budget der US-Geheimdienste in den späten 1990er-Jahren noch bei 40 Milliarden US-Dollar gelegen, so betrug es im Jahr 2010 knapp 100 Milliarden Dollar. Heute haben die US-Geheimdienste ein Budget von rund 80 Milliarden US-Dollar.

Mit dem besagten Budget wurde unter anderem ab dem Jahr 2007 das berüchtigte Überwachungsprogramm Prism von der NSA betrieben, welches schließlich im Jahr 2013 von Snowden exponiert wurde. Das Programm ermöglichte das Ausspionieren von Nutzerverhalten in den Clouds zahlreicher US-Konzerne.

Wiederherstellen des Gleichgewichts

Seit Snowdens Aufdeckungen wurden Rufe nach einem Wiederherstellen der Balance zwischen Freiheit und Sicherheit lauter. So wurde in den USA im Jahr 2015 der "Freedom Act" verabschiedet, welcher den Handlungsspielraum der NSA einschränkte. Auch der Patriot Act wurde schrittweise abgeschafft.

Im Jahr 2019 gab die NSA bekannt, dass man die massenhafte Sammlung von Telefonie- und Text-Daten einstelle. Der Geheimdienst begründete dies mit "technischen Unregelmäßigkeiten". Fakt ist aber: Das System war auch äußerst ineffizient. So wurde trotz aller Überwachungsmaßnahmen nur ein einziger Fall, der Somalier Basaalay Moalin, von der NSA als Erfolg verbucht – und auch hier urteilte im vergangenen Jahr ein US-Gericht, dass die NSA in dessen Festnahme eigentlich keine Rolle gespielt hatte.

In Europa wiederum machte man sich ebenfalls Gedanken über Datenschutz und rief die EU-Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) ins Leben. Sie erblickte im Jahr 2018 schließlich das Licht der Welt, verfolgt nun aber ein gänzlich anderes Ziel – nämlich private Unternehmen zum sorgsamen Umgang mit Nutzerdaten zu verpflichten.

Die Situation in Österreich

Die DSGVO gilt freilich auch in Österreich. Ansonsten ist die Situation hierzulande durchmischt, wenn es um Datenschutz und staatliche Überwachung geht. So wurde im Jahr 2011 die Vorratsdatenspeicherung eingeführt: Sie besagte, dass Telekommunikationsunternehmen die Nutzerdaten sechs Monate lang speichern und bei Bedarf an Behörden ausliefern sollen. Diese Maßnahme wurde jedoch im Jahr 2014 vom Verfassungsgerichtshof (VfGH) als verfassungswidrig erklärt und somit eingestellt.

Europas Städte mit den meisten Sicherheitskameras im Jahr 2019: Wien ist auf Platz vier.
Foto: Comparitech/Statista

Im Jahr 2017 sprach sich der damalige Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) wiederum für einen Bundestrojaner aus – eine staatliche Malware zur Überwachung von Kommunikation auf Smartphones. Auch dieses Vorhaben wurde vom VfGH aber im Jahr 2019 als verfassungswidrig erklärt.

Überwachungskameras und Gesichtserkennung

Sehr wohl ist es der heimischen Polizei aber erlaubt, digitale Gesichtserkennung bei Material aus Überwachungskameras einzusetzen. Erst Mitte August 2021 hieß es in einem Bericht des STANDARD, dass die heimische Polizei Gesichtserkennungstechnologie regelmäßig gegen tausende Personen einsetzt. In den meisten Fällen ging es dabei nicht um Terroranschläge, sondern um die Aufklärung kleinerer Diebstähle.

Kritik gibt es an dieser Technologie nicht nur wegen etwaiger Datenschutz-Bedenken, sondern auch wegen ihrer technischen Unausgereiftheit und entsprechender Fehleranfälligkeit. So berichtete der STANDARD Anfang September, dass Facebooks Algorithmus auch im Jahr 2021 noch schwarze Menschen manchmal mit Affen verwechselt.

Stetige Wachsamkeit

Das Abwägen zwischen Freiheit und Sicherheit wird wohl auch in den kommenden Jahren weitergehen – was auch legitim ist. Denn die Bevölkerung pocht auf ihre Datenschutzrechte, zugleich fürchtet man sich auch hierzulande vor einem weiteren Terroranschlag wie jenem im Jahr 2020 und wünscht sich entsprechend effiziente Präventivmaßnahmen.

Eine Rolle in diesem Abwägen spielen staatliche Akteure ebenso wie private Unternehmen. Das zeigte sich erst jüngst durch das Überwachen und Sammeln von Social-Media-Daten durch die Polizei von Los Angeles und durch Apples Versuch, die Fotos der User auf mögliche pädophile Inhalte zu scannen – nach Kritik von Datenschützern musste der Konzern zurückrudern. Mitte September musste Apple eine Lücke schließen, welche ein Eindringen in iOS-Geräte mit der staatlichen Überwachungssoftware Pegasus ermöglichte. Dieses Tool wird von Staaten nach wie vor eingesetzt. Beispiele wie diese zeigen: Der Kampf gegen Terror und Verbrechen ist noch lange nicht vorbei – ebenso wenig wie jener für das Recht auf den Schutz der eigenen persönlichen Daten. (Stefan Mey, 14.9.2021)