So manche unter den zahlreichen Foodies, die einst den langen Weg nach Norden antraten, um im Fäviken Magasinet zu essen, waren, als sie das Restaurant in Mittelschweden schließlich erreichten, bisweilen ein wenig enttäuscht – oder zumindest überrascht, und zwar zum einen, weil der Ort keineswegs so abgeschieden war, wie es ihnen der Mythos um das inzwischen geschlossene Lokal und die zahlreichen Medienberichte, die eben diesen so innig pflegten, weismachen wollten, und zum anderen, weil auch die Zutaten, die der Ausnahmekoch Magnus Nilsson verarbeitete, ganz und gar nicht ausschließlich aus der "kargen Landschaft" und aus "unmittelbarer Umgebung rund um das Anwesen" stammten, wie es so oft zu lesen und zu hören war.

Seit Ende 2019 kochen Ethel Hoon und Jakob Zeller im Restaurant Klösterle in Vorarlberg.
Foto: Georges Desrues

Tatsächlich ist Åre, der berühmteste Skiort Schwedens, vom ehemaligen Lokal in gerade einmal 30 Autominuten erreichbar. Und ein mächtiges, rosagebratenes Elchfilet mag zwar aus den umliegenden Wäldern stammen, von Kargheit weiß es allerdings nichts zu erzählen. Genauso wenig nämlich wie der Zwei-Kilo-Hummer oder die imposanten Jakobsmuscheln, die Küchenchef und Foodie-Ikone Nilsson von der immerhin 150 Kilometer entfernten norwegischen Küste importierte.

Von Schweden nach Vorarlberg

Hummer und Elchfilet wird man im Vorarlberger Gasthaus Klösterle nicht finden. Dafür gibt’s andere Gemeinsamkeiten mit dem legendären schwedischen Restaurant. Da wäre etwa die in die Natur eingebettete Lage inmitten einer pittoresken Landschaft, in diesem Falle das Ende des Zugertals in Vorarlberg. Und da wäre auch die Nähe zu einem berühmten Skiort, dem mondänen Lech am Arlberg. Doch die wesentlichste Ähnlichkeit ist wohl, dass die zwei jungen Betreiber, Ethel Hoon und Jakob Zeller, sich im Fäviken kennenlernten, wo beide drei Jahre lang gekocht haben.

Die Affinität zum Fermentieren haben Ethel Hoon und Jakob Zeller im Restaurant Fäviken Magasinet in Mittelschweden entwickelt, wo sich die beiden kennenlernten.

"Wir hören immer wieder, dass das Klösterle eine Art zweites Fäviken sei", erzählt Hoon amüsiert, "dabei bestehen in Wahrheit wesentliche Unterschiede." So sei das Fäviken eine Destination gewesen, zu der viele Gäste speziell angereist kamen, während es im Klösterle eher darum gehe, bereits anwesende Urlauber mit besonderer Küche zu überraschen. "Außerdem erlebt man in den Alpen die Übergänge zwischen den vier Jahreszeiten doch um einiges stärker als in Mittelschweden", sagt Hoon, die selbst aus dem jahreszeitenbefreiten Stadtstaat Singapur kommt.

In der naturnahen Küche Hoons und ihres Ehemannes Jakob Zeller spielen Jahreszeiten und Wachstumsperioden freilich eine bedeutende Rolle. Das Allermeiste, das hier aufgetischt wird, stammt nämlich tatsächlich aus den nahen Wäldern, von umliegenden Almen und von Erzeugern aus der Umgebung. Oder zumindest aus dem Alpenraum, wie etwa aus Südtirol, wo Zeller herstammt und zu vielen Produzenten bis heute gute Kontakte unterhält. Dogmatisch sei man allerdings nicht, betont der Koch, Ausnahmen würden auch hier gemacht. Beispielsweise für Zitrusfrüchte von der Amalfiküste, auf die der Italiener (völlig zu Recht) nicht verzichten will.

Im Klösterle werden Vogelbeeren, Fichtensprossen, Emmer – und was die Region sonst noch so hergibt – eingelegt.
Foto: Georges Desrues

Ansonsten wird viel gesammelt, gepflückt, eingelegt, eingeweckt, eingekocht und fermentiert, genauso wie man das schon im Fäviken machte – und genau so, wie es von jungen Köchen heutzutage erwartet wird. Vor allem dann, wenn sie durch die skandinavische Schule gingen.

Zwischen Wanderwegen und Loipen

Einzigartig ist das Erlebnis im Klösterle dennoch. Das liegt zum einen freilich an der Küche des Paares, die trotz aller Ähnlichkeiten mit Vertrautem gänzlich unverwechselbar gerät, und zum anderen an dem sensationellen Rahmen. Der ist nämlich wie aus dem Bilderbuch: die Hütte, umringt von mächtigen Bergen, umgeben von saftigen Wiesen und umkreist von grasenden Rindern. Im Sommer beginnen und enden hier die Berg-Wanderwege, im Winter die Skipisten und Loipen. Bei Schnee reisen die Gäste untertags gerne auf Skiern und am Abend auch schon mal im Pferdeschlitten an.

Sensationell ist auch das Gebäude selbst: eine prachtvoll erhaltene und liebevoll gepflegte Almhütte aus dem 17. Jahrhundert, mit hölzernen Stuben und niedrigen Decken, mit ausgewählten Möbeln und kitschfreiem Dekors. Während der Sommermonate diente sie in früheren Zeiten den Hirten und Sennern, die das Vieh der 20 Kilometer entfernt gelegenen Gemeinde Klösterle (daher der Name) hüteten und ihre Milch zu Käse verarbeiteten.

Eine Hütte aus dem 17. Jahrhundert, eingebettet in die pittoreske Landschaft
der Alpen, beherbergt das Restaurant Klösterle.
Foto: Georges Desrues

Bis vor kurzem hatte hier eine der großen Hoffnungen der heimischen Gastroszene gekocht, nämlich die Vorarlbergerin Milena Broger, die inzwischen in Bregenz ein Lokal eröffnete. Im Dezember 2019 übernahmen dann Jakob Zeller und Ethel Hoon. Beide empfinden es als Vorteil, wieder inmitten der Natur zu arbeiten. "Die Nähe zu den Produzenten ist für uns ganz entscheidend", will Zeller betont wissen, "denn die Art, wie wir kochen, steht und fällt mit dem Produkt." Hier könnten sie vieles selbst sammeln, anderes mit den Erzeugern gemeinsam besprechen und entwickeln – und dann dank ihrer Erfahrungen verarbeiten.

Und Erfahrungen haben die beiden mehr als genug, nämlich in Spitzenrestaurants in Italien, Südfrankreich, Singapur, Paris, Tokio und eben Schweden. All das lassen sie in ihre Arbeit einfließen, womit das, was die Singapurerin und der Südtiroler auftischen, zum Musterbeispiel dessen gerät, was die Franzosen "cuisine d’auteur", also Autoren küche nennen. Und womit sie einen Stil meinen, der die ganz persönliche und unverwechselbare Handschrift des Kochs – in diesem Fall des Kochpaars – trägt. "Der Begriff Fusion ist zwar etwas negativ behaftet, doch in Wahrheit entsteht ja jede Küche durch Austausch, durch fremde Einflüsse und durch persönliche Erfahrungen", so Zeller.

Geschmacksbomben

Beste Beispiele dafür sind Gerichte wie Pilz fritto misto mit Lupine-Ponzu, Tomaten mit Salzfrüchten und Shiso, Rothirsch vom Grill mit schwarzem Curry oder auch Wurst vom Turopolje-Schwein mit Salsa Verde. Lauter mutige Kombinationen, mit intensiven Geschmäcken und starken Aromen. Viele der Geschmacksbomben erzeugen die beiden selbst, wie etwa die Sojasauce aus Lupinen oder Miso – aus was auch immer sich auf den Almen findet. "Wir wollen eine Küche bieten, die zwar zum gebirgigen Umfeld passt, sich aber von der gängigen schweren und fleischlastigen alpinen Küche abhebt", sagt Zeller.

Das gelingt vorerst schon sehr gut, auch wenn die Fülle an Aromen bisweilen ein wenig gezähmter, etwas gebündelter daherkommen könnte. Aber das werden die Routine, das Einspielen und die Gewöhnung an den Ort schon bringen. Dann werden die beiden ihren Weg finden und gehen – und wir mit ihnen. Womit das Klösterle in naher Zukunft selbst zu einer echten Destination werden könnte – ganz so, wie das Fäviken eine war. (Georges Desrues, 13.9.2021)