Würden Autobahnprojekte per Zeitablauf genehmigt, wie im Standortgesetz vorgesehen, blieben Umweltprüfungen auf der Strecke.

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Wien – Die von der Europäischen Kommission geäußerten Vorbehalte gegen das 2019 von der schwarz-blauen Regierung in Kraft gesetzte Standortentwicklungsgesetz sind tiefgreifend. Gemäß Schriftsatz vom Oktober 2019 geht die Kommission, vereinfacht ausgedrückt, davon aus, dass die im Gesetz vorgesehene Beschleunigung von Umweltprüfungen für "Vorhaben im besonderen öffentlichen Interesse der Republik Österreich" nicht umsetzungsfähig ist.

Das liegt natürlich auch daran, dass kaum Projekte in der Pipeline sind, die einen derartigen Turbo brauchen. Ein Projektwerber müsste den Standortbeirat anrufen, der seinerseits das Wirtschaftsministerium veranlasst, ein Projekt zu einem Vorhaben im besonderen öffentlichen Interesse zu erklären. Erst dann käme die im Standortentwicklungsgesetz vorgesehene Verkürzung einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) ins Laufen, die mit einer automatischen Genehmigung nach zwölf Monaten enden würde.

Keine partielle Ausnahme

Die EU-Kommission setzt in ihrer kritischen Stellungnahme freilich viel früher an. Sie sieht die partielle Ausnahmeregelung vom UVP-Gesetz insgesamt kritisch. Zwar seien grundsätzlich Ausnahmen möglich, Österreich habe derartige Ausnahmen im Gesetz aber nicht benannt. Langwierige Einspruchsverfahren betroffener Bürger, also Bürgerbeteiligung im UVP-Verfahren, seien als Grund unzureichend.

Relevante und zu berücksichtigende Umstände gemäß UVP-EU-Richtlinie wären beispielsweise die "Verteidigung oder die Bewältigung von Katastrophenfällen". Diese kommen im Standortgesetz aber gar nicht vor, wie die EU-Kommission in ihrem Schriftsatz, der dem STANDARD vorliegt, unter Verweis auf Artikel 2 der Richtlinie spitz anmerkt. Dazu müsste so ein Projekt zumindest dringlich sein.

Stille Zustimmung

Heißt auf gut Deutsch: Ein pauschales öffentliches Interesse reicht nicht, um eine derart gravierende Ausnahme in Sachen Beteiligung der Öffentlichkeit an einem UVP-Verfahren zu legitimieren. Für "Projekte, bei denen mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist", sollte die Genehmigung "erst nach einer Prüfung der möglichen erheblichen Umweltauswirkungen dieser Projekte erteilt werden", heißt es weiter.

Eine stillschweigende Genehmigung nach zwölf Monaten, wie im Standortgesetz vorgesehen, sei mit diesen Grundsätzen unvereinbar, schreibt die Kommission und begründet dies so: "Dies bedeutet, dass die Behörden in der Praxis verpflichtet sein werden, nach zwölf Monaten die Genehmigung zu erteilen – unabhängig davon, in welcher Phase sich das UVP-Verfahren befindet, und ohne dass eine angemessene Bewertung der Umweltauswirkungen stattgefunden hat."

Österreich komme mit diesem Gesetz seinen Verpflichtungen nicht nach, etwa dass die Öffentlichkeit gemäß Richtlinie unverzüglich, frühzeitig und vollständig über Genehmigungsbescheide und allfällige Auflagen zu informieren ist.

Instanzenzug fraglich

Nach Ansicht der EU-Kommission meint es der Gesetzgeber übrigens selbst mit den Projektwerbern nicht gut. Entscheidet etwa eine Behörde nicht binnen zwölf Monaten über die UVP, ist Säumnisbeschwerde beim zuständigen Verwaltungsgericht möglich. Das Gericht darf dann gleich in der Sache entscheiden, was im Fall des Verwaltungsgerichtshofs aber problematisch wäre. Denn gegen Erkenntnisse des VwGH ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig (lediglich eine Revision in Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung). Dem Projektwerber werde so die Anfechtung eines Bescheides verwehrt.

"Diesen Schuh wird sich kein Projektwerber anziehen, denn damit wäre einem umstrittenen Projekt erst recht die öffentliche Aufmerksamkeit und damit Widerstand sicher", sagt ein auf Verwaltungs- und Umweltrecht spezialisierter Rechtsexperte der Uni Wien. Zu heikel sei auch die mit EU-Umweltrecht nicht kompatible Materie. Für aktuelle Streitobjekte von Lobautunnel bis Stadtstraße sowie längst begonnene Prüfungen ist das Standortentwicklungsgesetz ohnehin nicht relevant, deren Umweltverträglichkeitsprüfungen sind erledigt oder in Abarbeitung

Wie Mikado

So vernichtend der Befund der EU-Behörde über das im Lichte langwieriger Verfahren wie der dritten Flughafenpiste gezimmerte Standortentwicklungsgesetz auch sein mag – vor dem Europäischen Gerichtshof dürfte selbiges nicht so bald landen. Die EU habe signalisiert, dass sie auf "Evidenz aus der Praxis" warte, erst vorgehen wolle, wenn ein UVP-Projekt zwecks Beschleunigung bei der Wirtschaftsministerin lande, sagen mit der Materie vertraute Experten. Eingestellt werde das Verfahren, das an das laufende Vertragsverletzungsverfahren wegen gravierender Mängel im UVP-Gesetz angeschlossen wurde, aber sicher nicht.

Die Situation scheint verfahren. Die Kommission vertrete ihren Standpunkt, die Regierung in Wien einen anderen, beharrt man im Wirtschaftsministerium auf der bekannten Position. Man warte nun ab. Ungeachtet dessen arbeitet das Umweltministerium an der Reparatur des UVP-Gesetzes. Für die UVP-Effizienzsteigerung wurde eine Arbeitsgruppe eingesetzt. (Luise Ungerboeck, 14.9.2021)