In der Öffentlichkeit wird beim Projekt Austromir 91 fast immer Franz Viehböck assoziiert. Er flog von 2. bis 10. Oktober 1991 als erster Österreicher ins All. Clemens Lothaller, der Mann im zweiten Team, blieb am Boden, was erst zwei Monate vor dem Start klar war. Weniger bekannt sind Details des "Making of"; so begann der Countdown noch zu Zeiten des "Eisernen Vorhangs".

Vierjähriger Countdown

10 – Juli 1987: Nikolai Iwanowitsch Ryschkow, Vorsitzender des Ministerrats der Regierung Gorbatschow, schlägt der österreichischen Bundesregierung einen gemeinsamen bemannten Weltraumflug zur sowjetischen Raumstation Mir vor.

9 – Im Oktober 1987 werden bei einem Expertentreffen die Rahmenbedingungen besprochen.

8 – Am 5. April 1988 gibt die österreichische Bundesregierung ihre Zustimmung.

7 – Am 9. April 1988 erfolgt durch das Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung die "Ausschreibung für Österreichische(n) Kosmonaut(in)"; Deadline: 27. Mai 1988. Voraussetzungen: abgeschlossene naturwissenschaftliche, technische, medizinische, universitäre oder gleichzusetzende Ausbildung; ein Idealalter zwischen 30 und 40; österreichische Staatsbürgerschaft; Bereitschaft, eine achtzehnmonatige intensive Ausbildung zu machen. Russische Sprachkenntnisse sind erwünscht. Nicht weniger als 200 Bewerber und 20 Bewerberinnen wollen den Job, insgesamt 198 erfüllen die Ausschreibungsbedingungen.

6 – Am 11. Oktober 1988 unterzeichnen Ryschkow (UdSSR) und Bundeskanzler Franz Vranitzky ein Abkommen. Es ging a) um die Mithilfe bei der Auswahl der Kosmonautenkandidaten, b) um die Vorbereitung und Ausbildung der von den Vertragsparteien ausgewählten Kosmonautenkandidaten sowie c) um Start, Flug und Rückkehr des Kosmonauten und allem was dazu gehört (salopp formuliert); weiters unter Punkt d): Die Ermöglichung der Durchführung der wissenschaftlichen Experimente unter Mithilfe der sowjetischen Kosmonauten in der Raumstation und schließlich um die Übermittlung der Resultate der Experimente (Punkt e). Das Ganze war nicht billig. Österreich zahlte den Sowjets 850 Millionen Schilling, was heute 61,77 Millionen Euro entsprechen würde.

Vom strengen Auswahlverfahren …

Das Buch mit Viehböcks und Lothallers persönlichen Erinnerungen.
Foto: Archiv Hofmann

5 – "Am 17. November 1988, zu einem Zeitpunkt, da ich überhaupt nicht mehr damit gerechnet hatte, erhielt ich einen Brief von der ASA (Österreichischen Gesellschaft für Weltraumfragen)", so Viehböck, Ingenieur für Elektrotechnik. Auf der Agenda stand zunächst ein umfassender Gesundheitscheck, für dessen Kosten alle selber aufkommen mussten.

4 – In Phase 2 (Jänner 1989 bis Februar 1989) stehen psychologische und medizinische Tests auf dem Programm. 70 Kandidatinnen und Kandidaten wurden als geeignet auserwählt. Nach Phase 3 (Februar 1989), der psychologischen Vorselektion, blieben 30 übrig. Es folgte von März bis April 1989 ein Überlebenstraining inklusive Fallschirmsprung. Danach verblieben nur mehr 15 im Team potenzieller Kosmonautinnen und Kosmonauten, deren Zahl reduzierte sich im Zuge weiterer Tests auf 13. Nach insgesamt acht Selektionsschritten waren es nur mehr sieben, darunter zwei Frauen. Es folgten ein zehnwöchiges Fitnesstraining sowie ein finaler Selektionsschritt in Moskau: Es verblieben zwei Männer, zwei Frauen und ein Reservekandidat. In Österreich entschied man sich für Franz Viehböck (Jahrgang 1960) und Clemens Lothaller (Jahrgang 1963). Die beiden durchlebten ab Jänner 1990 in Russland ein Trainingsprogramm, das sie nicht nur auf Herz und Nieren – im wahrsten Sinn des Wortes – prüfte, sondern auch für alle Eventualitäten rüsten sollte.

Staatstragend: Franz Viehböck (li.) und Clemens Lothaller – die beiden Kosmonauten.
Foto: Archiv Lothaller

… zur harten Ausbildung für Viehböck und Lothaller

Im Austromir-Handbuch, das vor dem Start im August 1991 erschien, sind nicht nur alle wissenschaftlichen Experimente im Detail angeführt, sondern auch persönliche Eindrücke von Viehböck und Lothaller. Ab dem 8. Jänner 1990 absolvierten sie im sowjetischen Ausbildungszentrum für Kosmonauten ("Sternenstädtchen"), 40 Kilometer nordöstlich von Moskau, ihr Ausbildungs- und Trainingsprogramm: "Unsere Ausbildung begann gleich nach der Ankunft hier im Sternenstädtchen. Im täglichen Programm ist um sieben Uhr Morgensport vorgesehen, der circa 45 Minuten dauert. Von 9 bis 18 Uhr finden die Unterrichtseinheiten mit einer Stunde Mittagspause statt. […] Die ersten vier Monate lernten wir mit einer Universitätslehrerin intensiv Russisch, da das Verstehen der russischen Sprache eine Voraussetzung für die weiteren Vorlesungen war, die natürlich alle in Russisch abgehalten werden. Untertags hatten wir bis zu acht Stunden Russischunterricht und abends waren wir mit Hausübungen und Vokabellernen beschäftigt."

Doch nicht nur der Geist, auch der Körper wurde hart gefordert. "So absolvierten wir zum Beispiel Fallschirmsprünge oder im Winter bei minus 15 Grad Celsius ein Überlebenstraining. Dabei wurden wir zu dritt mit der Landekapsel in einen Wald gebracht. Mit Hilfe einer Notration Essen und Wasser, die an Bord vorhanden ist, und entsprechendem Notwerkzeug mußten wir zwei Tage überleben. Eine Hubschrauberbergung aus dem Wasser und vom Land und ein spezielles Überlebenstraining am Meer sollte uns an die Bedingungen einer Wasserlandung gewöhnen." Die Freizeit der beiden war spärlich.

Voller Erwartung: Franz Viehböck (li.) und Clemens Lothaller vor dem Simulator.
Foto: Archiv Lothaller

Dazu ein kleiner Exkurs: Die beiden fanden Zeit, um einer Einladung des damaligen Militärattachés Maximilian Trofaier in Moskau zu folgen. Dazu Trofaier in seinen Memoiren (2004): "Es begann damit, dass mein Büro an der Botschaft in Moskau Betreuungsaufgaben für die beiden österreichischen Weltraumaspiranten Lothaller und Viehböck übernahm. Das führte zu einigen Besuchseinladungen in das sowjetische Kosmonauten-Ausbildungszentrum Swjosdny Gorodok, dem Sternenstädtchen bei Moskau, einmal sogar mit meiner Familie." Sein Sohn, Maximilian Trofaier (jr.), heute Archivar im Schottenstift, erinnert sich: "Beide waren bei uns zum Abendessen. Das hat vor allem meine damals sechsjährige Schwester nachhaltig beeindruckt, sie wollte ab dem Moment auch ins Weltall. Dem Kindheitswunsch ist sie auch nähergekommen; sie studierte Astrophysik, und seit 2018 arbeitet Anna Maria Trofaier bei der Esa (Climate office) als Cryosphere Scientist.

Die Entscheidung: Viehböck soll fliegen

3 – Am 7. August 1991 war es klar: Viehböck wird mit Alexander Wolkow und Tachtar Aubakirow fliegen, um an der Raumstation Mir anzudocken. Das zweite Team, Clemens Lothaller, Alexander Wiktorenko als Kommandant sowie Talgat Mussabajew, blieb am Boden. Sie waren aber allzeit bereit, um gegebenenfalls einzuspringen.

Ausbildung: Clemens Lothaller studiert und notiert alle Details.
Foto: Archiv Lothaller

2 – Beide Teams fahren am 2. Oktober 1991 in getrennten Bussen zum Startplatz. Das war ein emotionaler Moment, nicht nur für Viehböck, sondern auch für Lothaller: "… und als schließlich Franz und seine Kollegen in die Raumanzüge kletterten, wir hingegen in Zivilkleidung tatenlos zuschauten, da empfand ich erstmals so etwas wie Trennungsschmerz. Zumal Franz und ich gerade in diesen beiden letzten Wochen in Leninsk echte Freunde geworden waren." Franz Viehböck: "Noch 10.000 Sekunden. Der eigentliche Abschied. Die zweite Crew bleibt hier zurück. Die Glückwünsche sind einfach, doch sie kommen ganz tief aus dem Herzen, das spürt man: 'Alles Gute', höre ich ein paarmal. Und: 'Mach's gut' – das war Clemens –, das letzte deutsche Wort für acht Tage, denke ich, doch dann wird mir bewußt, daß ich sicherlich mit ihm oder jemand anderem von der Raumstation aus Kontakt haben werde."

1 – Am 2. Oktober 1991 um 6.59 Uhr MEZ (9.59 Uhr Ortszeit) hebt die Sojus-Trägerrakete mit dem Raumtransporter Sojus TM-13 ab. Trofaier, der Militärattaché, im Rückblick: "Ich begleitete die österreichische Regierungsdelegation unter BK Vranitzky zum Raketenstart und hatte somit Gelegenheit, den ansonsten streng für Ausländer verbotenen Weltraumbahnhof Baikonur in Kasachstan zu besuchen. Neben dem Verabschiedungszeremoniell der Kosmonauten, wohin man mich als Uniformierten bevorzugt geleitete (während, für mich etwas peinlich, hochrangigen zivilen Mitgliedern unserer Delegation wie dem Bürgermeister von Graz und Abgeordneten zum NR der Zugang zum sterilen Fare-Well-Raum verwehrt wurde, aus dem hinterher aber die Kosmonauten wiederum Hände schüttelnd traten, um mit einem Kfz zur Rakete in etwa einem Kilometer Entfernung gebracht zu werden), und Beobachtung des Startes bei aufgehender Sonne erfolgte auch eine Führung durch die riesigen Hangars für die dort befindlichen Interkontinentalraketen."

0 – Am 4. Oktober 1991 um 8.40 Uhr MEZ dockte der Raumtransporter Sojus TM-13 an die Raumstation Mir an.

Ehrgeiziges Programm im All

Clemens Lothaller im sentimentalen Rückblick, veröffentlicht im Buch "Austromir": "Ich hatte eine zweijährige Ausbildung erfolgreich abgeschlossen. Doch erstmals wurde mir bewußt, daß ich mein Ziel eigentlich nicht erreicht hatte." Weiter im O-Ton: "Schon am nächsten Tag hatte ich mich wieder erfangen, der nächste 'Moralische' erwischte mich erst wieder beim Andock-Manöver. Als Franz in die Raumstation kletterte, hatte ich einen Frosch im Hals und mußte meinen Co-Kommentar für das Fernsehen unterbrechen. […] Franz hatte kurz zuvor mit dem österreichischen Bundespräsidenten gesprochen und sein schönstes Hochdeutsch an den Tag gelegt. Unmittelbar danach begrüßte er mich mit einem von Herzen kommenden: 'Servas Oida!'"

Das Buch enthält alle Fakten und detaillierte Beschreibungen der Experimente.
Foto: Archiv Hofmann

In den nächsten Tagen hatte Viehböck alle Hände voll zu tun, nicht weniger als 15 Experimente, die über Jahre vorher penibel ausgearbeitet wurden, hatte er durchzuführen. Fast alle Projekte hatten eines gemeinsam: die russische Silbe "Mir" (мир), sie steht für den Planeten Erde, die Welt; im Plural auch für Friede. Seine To-do-Liste reichte von Audimir, wo es zu erkunden galt, wie in der Schwerelosigkeit Schallquellen lokalisiert werden können, bis zu Pulstrans. Hier wollte man wissen, wie sich Anstrengungen in der Schwerelosigkeit bei den Herzfunktionen abzeichnen.

Lothaller, der am Boden blieb, erlebte die Landung der Raumkapsel am 10. Oktober 1991 um 5.12 Uhr bei Arkalyk in Kasachstan als Elementarereignis. "Während sich der Fallschirm langsam über den Boden breitete, versank die Kapsel in einer riesigen Staubwolke. Als sie wieder sichtbar wurde, lag sie auf der Seite. Unser Hubschrauber landete als erster. Ich stand plötzlich vor einem schwarzen, völlig verkohlten, stinkenden, rauchenden und zischenden Gegenstand. Er sah nicht aus, als wäre er soeben vom Himmel gefallen. Eher wie ein teuflisches Ding aus der Hölle. Gemeinsam mit einem Techniker öffnete ich die Luke. […] Ich hörte keine Stimmen aus einer anderen Welt, die man bei diesem Anblick erwarten hätte können, sondern ein vertrautes: 'Servas Oida'." (Thomas Hofmann, 15.9.2021)