Der Siegeszug der Kunststoffe begann vor rund sechzig Jahren und ist bis heute ungebrochen: Kunststoffe, auch Plastik genannt, sind so ungeheuer vielseitig in Form und Funktion, dass sie aus unserem Leben nicht wegzudenken sind. Aber Massenproduktion und Wegwerfkultur hinterlassen deutliche Spuren. Vermüllte Straßenränder, Flussufer und Strände sowie strangulierte Meerestiere sind dabei nur ein Teil der Geschichte.

Bei Mikroplastik handelt es sich nicht um eine einheitliche Stoffgruppe, sondern um unterschiedliche Materialien, die sich unterschiedlich abbauen.
Foto: APA / Herbert Neubauer

Kaum sichtbar ist Mikroplastik, winzige Kunststoffteilchen, die kleiner sind als fünf Millimeter. Sie stammen aus synthetischer Kleidung, Kosmetika und sich zersetzendem Plastikmüll und sind mittlerweile in allen Lebensräumen nachweisbar: in Flüssen und Ozeanen, in der Luft und der Erde und selbst im Schnee der Arktis.

Wissenschafter haben Mikroplastik außerdem in Lebensmitteln und im Verdauungstrakt zahlreicher Tierarten nachgewiesen – und sogar im menschlichen Stuhl. Der größte Teil wird wohl ausgeschieden, möglicherweise kann aber sehr kleines Mikroplastik und noch kleineres Nanoplastik auch ins Blut oder durch die Atmung in die Lunge gelangen.

Wie viel Partikel in den menschlichen Körper gelangen und wie sie sich in Organen oder Geweben auswirken, ist bisher noch völlig unbekannt – und wird nun im EU-Projekt "Imptox" unter Beteiligung der Universität Wien und der Med-Uni Wien erforscht.

Allergieauslösende Proteine

Das Projekt geht mehreren Fragen nach, in Wien soll etwa untersucht werden, ob die Aufnahme kleinster Plastikpartikel Allergien verstärken kann. "Auf der Oberfläche von Nano- und Mikroplastik können allergieauslösende Proteine gut haften bleiben. Wenn solche Partikel in ihrer Größe Krankheitserregern wie Bakterien ähneln, können sie das menschlichen Immunsystem besonders gut stimulieren und vielleicht eine verstärkte Allergie auslösen", erklärt die "Imptox"-Forscherin Lea Ann Dailey vom Department für Pharmazeutische Wissenschaften der Uni Wien.

Aus Studien an Modellorganismen wie Regenwürmern, Wasserflöhen oder Fischen weiß man, dass Mikroplastik in bestimmten Konzentrationen schädlich wirkt. Da es einen Teil der Nahrung ausmacht, aber keinen Nährwert besitzt, führt es unter anderem zu Energiemangel, reduziertem Wachstum und einer verringerten Anzahl an Nachkommen. In Experimenten mit Zellkulturen ließ sich nachweisen, dass Nanoplastik von Körperzellen aufgenommen werden kann und dort möglicherweise mit der Zellmaschinerie interagiert.

Aufwendiger Nachweis

Der Nachweis und die Quantifizierung von Kunststoffresten in Umweltproben sind bisher aber eine große technische Herausforderung. "Wir wissen also nicht genau, welcher Exposition wir ausgesetzt sind", sagt Martin Löder, Umweltingenieur an der Universität Bayreuth, die 2019 einen Sonderforschungsbereich zu Mikroplastik eingerichtet hat.

Für die Analyse einer Wasserprobe etwa brauche es rund 14 Tage. Dazu filtern die Forscher mehrere Hundert bis mehrere Zehntausend Liter durch feine Netze, reinigen die Proben auf, sortieren sie, filtern sie durch noch feinere Siebe, entfernen organische Bestandteile durch Enzyme, mineralische durch eine Dichtetrennung und fotografieren und vermessen schließlich jedes einzelne Plastikteilchen bis zu einer Größe von zehn Mikrometern.

Dass Mikroplastik nicht gleich Mikroplastik ist, erschwert die Risikobewertung zusätzlich: "Es handelt sich nicht um eine einheitliche Stoffgruppe, sondern es ist ein bunter Strauß an unterschiedlichen Materialien mit unterschiedlichen Eigenschaften und Formen, die sich unterschiedlich abbauen", so Löder. "Die meisten Studien differenzieren nicht zwischen diesen Partikeln, obwohl theoretisch allein die Form ausschlaggebend dafür sein kann, ob das Teilchen schädlich wirkt oder nicht."

Teilchen in der Nahrung

So ist ein wesentliches Ziel des "Imptox"-Projekts die Etablierung Standardisierter Nachweismethoden, um Gewissheit zu erlangen, wie viele und welche Plastikteilchen der Mensch mit der Nahrung und der Atmung aufnimmt. Daileys Team wird Meeresluft analysieren, da die Meere besonders stark von der Plastikverschmutzung betroffen sind und die Forscher annehmen, dass die Mikroplastikbelastung dort höher ist.

Als Vergleich dienen Luftproben vom Neusiedler See. "Der Nachweis von lungengängigen Plastikteilchen ist eine große Herausforderung", sagt Dailey. Denn diese Teilchen sind kleiner als fünf Mikrometer und entziehen sich der Analytik bislang fast vollständig. So existieren zwar hochauflösende Spezialmikroskope, die neben der Größe und Form auch Information zum Plastiktyp geben können.

"Aber wir müssen erst unsere Messmethoden verfeinern, bevor wir zuverlässige Informationen zur Art und Menge an Plastik in der Luft gewinnen können", erklärt Dailey.

Einwegplastikverbot reicht nicht

Obwohl die Wirkung von Mikroplastik auf den Menschen und auch die Umwelt noch unklar ist, begrüßen viele Wissenschafter das Einwegplastikverbot der EU, das im Juli in Kraft trat. "Das ist ein Schritt in die richtige Richtung, weil es die Menschen für das Thema sensibilisiert", sagt Annika Jahnke vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig, "allerdings reicht das nicht aus."

In Zukunft müsse man zwangsläufig mit einer immer höheren Mikroplastikkonzentration in der Umwelt rechnen, was auch Folgen für Klimawandel und Artenvielfalt haben könnte, führte die Wissenschafterin gemeinsam mit Kollegen in der Juli-Sonderausgabe "Unser Plastik-Dilemma" des Fachmagazins Science aus.

Selbst wenn man den Plastikeintrag in die Umwelt umgehend auf null reduzieren würde, würde sich Mikroplastik dort weiter anreichern: Denn Makroplastikmüll, also alles über fünf Millimeter Größe, schwimmt bereits tonnenweise im Meer oder lagert unsachgemäß in offenen Deponien.

Schätzungen gehen von einem globalen Plastikmülleintrag von neun bis 23 Millionen Tonnen pro Jahr in Flüsse, Seen und das Meer aus und von einer ähnlichen Menge an Land. Wird der Plastikstrom in die Umwelt nicht reduziert, könnten sich bis 2050 zwölf Milliarden Tonnen Kunststoffmüll in der Umwelt ansammeln.

500 Jahre, bis sich Plastik auflöst

Das Problem dabei: Plastik verrottet extrem langsam. Wissenschafter schätzen, dass es bis zu 500 Jahre dauern könnte, bis sich eine Plastikflasche durch Sonneneinstrahlung und mechanischen Abrieb in Mikro- und Nanoplastik aufgelöst hat. Denn Mikroorganismen, eigentlich Alleskönner in Sachen Zersetzung, können mit einem Material wie Polyethylen, dem weltweit am häufigsten verwendeten Kunststoff, wenig anfangen. Weil vergleichbare Materialien bis vor 60 Jahren in der Natur schlicht nicht vorkamen.

"Die chemischen Bindungen im Polyethylen sind sehr, sehr stabil, und Mikroorganismen fehlen die passenden Enzyme, also Messer und Gabel, um Polyethylen kleinzuschneiden, um es dann als Nahrung aufnehmen zu können", erklärt der Umweltchemiker Michael Sander von der ETH Zürich. Ob sich Plastik über Nanoplastik hinaus zersetzt, ist unbekannt. "Wenn, dann sprechen wir vermutlich über Jahrhunderte oder sogar Jahrtausende, und es ist keine Zeitspanne, auf die wir setzen können, damit sich die Ökosysteme wieder selbst reinigen", sagt Sander.

Die weiter zunehmende Plastikverschmutzung könnte sich laut Jahnkes Science-Bericht auch stark auf den Klimawandel und die Artenvielfalt auswirken: Reichern sich Plastikpartikel aller Größen in den oberen Ozeanschichten an, könnten sie das Sonnenlicht abschirmen und dadurch das Algenwachstum hemmen. Und weniger Algen würden weniger CO2 aus der Atmosphäre aufnehmen. Algen sind außerdem die Grundlage aller marinen Nahrungsketten. "Weniger Algen bedeuten auch weniger Nahrung für etliche Meerestiere und letzten Endes auch einen geringeren Nährstofftransport in die Tiefsee, wodurch die Artenvielfalt dort gefährdet ist", sagt Jahnke.

Belastete Böden

Auch die Böden sind bereits belastet – mit noch unklaren Folgen: Eine Plastikquelle sind herkömmliche Polyethylen-Mulchfolien, die weltweit großflächig beim Anbau von Erdbeeren und Spargel verwendet werden. In Europa entsorgen die Landwirte die Folien nach der Saison, allerdings bleibt laut einem Bericht des Agroscope schätzungsweise ein Prozent des Materials im Feld zurück.

"Das summiert sich im Lauf der Jahre, da das Polyethylen nicht abgebaut wird", erklärt Sander, der gemeinsam mit Kollegen biologisch abbaubare Kunststoffe für landwirtschaftliche Anwendungen untersucht. Solche Mulchfolien bestehen aus Kunststoffen, in deren chemischen Strukturen Sollbruchstellen eingebaut sind, die es Mikroorganismen ermöglichen, sie aufzubrechen und als Nahrung zu nutzen.

Auch Mikroplastik aus Kosmetika, Reinigungsmitteln und synthetischen Textilien landet über das Abwasser im Klärschlamm, der in vielen Ländern noch als Dünger verwendet wird, auch in Österreich. "Es ist eigentlich ein super Material mit vielen Nährstoffen, allerdings haben wir in einem Kilogramm Trockenmasse 1,2 Millionen Plastikpartikel gefunden", sagt Löder.

Wenig erforscht sind auch die Effekte der chemischen Zusatzstoffe, die Kunststoffen beigemengt werden, etwa Pigmente, Weichmacher, Flammschutzmittel oder UV-Stabilisatoren, die mit dem Plastikmüll in die Umwelt gelangen. ETH-Forschende um Stefanie Hellweg haben im Juni beunruhigende Erkenntnisse veröffentlicht: Das Team identifizierte rund 10.500 Chemikalien, die in der Plastikproduktion zum Einsatz kommen, etwa in Verpackungen, Textilien oder Spielzeug. Fast ein Viertel davon stuften sie als potenziell besorgniserregend ein.

Nicht regulierte Substanzen

Viele der fraglichen Substanzen sind weder in den USA noch in Europa reguliert, und für rund 4000 Substanzen fehlt eine Gefahrenklassifikation. "Das trägt weiter zum Chemikaliencocktail bei, dem wir ausgesetzt sind, und die Folgen sind sehr schwer vorherzusehen", meint Jahnke.

Eindeutige Beweise für negative Auswirkungen von Mikroplastik oder Zusatzstoffen auf den Menschen gibt es bisher nicht. Viele Wissenschafter verweisen aber eindringlich auf das Vorsorgeprinzip. "Als Umweltchemiker würde ich Vorsicht walten lassen und den Eintrag von Plastik in die Umwelt minimieren", so Sander.

Auch in der erwähnten Science-Sonderausgabe fordern etliche Wissenschafter bessere Entsorgungs- und Recyclingkonzepte und präzisere, internationale Regulierungen. Martin Löder betont zudem die Eigenverantwortung: "Jedes Glitzerpapierchen, jede Maske, die nicht im Mülleimer landet, bleibt potenziell für viele Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte in der Natur." (Juliette Irmer, 17.9.2021)