Höchst erfolgreich: Sally Rooney. Ihr neues Buch bleibt auf anregende Weise in den bewährten persönlichen und politischen Fahrwassern.

Foto: Kalpesh Lathigra

Eine junge, dennoch schon berühmte Schriftstellerin aus Dublin, die mit dem Literaturbetrieb hadert und nach einem Nervenzusammenbruch in einen kleinen Ort an der irischen Küste gezogen ist, um dort ein leerstehendes Haus zu hüten, trifft bei einem Tinder-Date den Lagerarbeiter eines Versandhandels. Es funkt nicht so recht, trotzdem nimmt sie ihn mit heim. Nachdem er das imposante Haus bestaunt hat, dreht er sich aber um und geht wieder. Kein Sex. Die beiden Welten haben nicht zusammengefunden, trotzdem werden die beiden noch zusammenkommen.

Diese Liebesgeschichte erregt gerade viel Aufmerksamkeit. Denn sie ereignet sich im neuen Roman von Sally Rooney. Die 1991 geborene Irin ist die erste Starautorin aus der Generation der Millennials. 2017 machten sie ihre Gespräche mit Freunden schlagartig berühmt, zuvor war ein Verlagswettstreit um das Debüt entbrannt. 2018 schickte Rooney mit Normale Menschen neuen Millennialstoff nach, auch das ein Bestseller. Das eben erschienene Schöne Welt, wo bist du nannten manche folglich das wichtigste Buch des Herbstes.

Sex und Ungleichheit

Dabei wird auf den 350 Seiten vor allem die schon aus den Vorgängerbüchern bekannte Themenlage variiert. Es geht um Sexualität und Feminismus, soziale Ungleichheit, ausbeuterische Produktionssysteme und Konsum. Das Private ist dabei stets politisch und umgekehrt.

Während sich in den Kapiteln mit ungeraden Nummern die dialoglastige Geschichte von Autorin Alice und dem Arbeiter Felix nicht allzu originell voranschiebt und die beiden einander bei einer Lesereise nach Italien doch näherkommen, taucht Rooney in jenen Kapiteln mit geraden Nummern tiefer in ihre Figuren ein. Denn sie stellen eine E-Mail-Konversation von Alice mit ihrer besten Freundin Eileen dar, die mit Ende 20 schlecht bezahlt als Redaktionsassistentin bei einem Dubliner Literaturmagazin arbeitet und in ein romantisches Geplänkel mit ihrem Jugendfreund Simon verstrickt ist. Ein paar Jahre älter, hat er aktuell eine Freundin Anfang 20 und trägt das Herz als parlamentarischer Mitarbeiter für Asyl am rechten Fleck.

E-Mails klingen angesichts von Whatsapp nicht heutig. Es geht den Freundinnen aber nicht um schnelle Updates. "Du musst wissen, dass unsere Korrespondenz meine Art ist, das Leben festzuhalten."

Nüchtern und pathetisch

So nüchtern und sezierend die einen Kapitel von halb garen Partys oder öden Arbeitstagen erzählen, so pathetisch klingen die oft in Küchentischphilosophie und moralische Überlegungen ausgreifenden Mails: "Ich war heute im örtlichen Laden, um mir etwas zum Mittagessen zu kaufen, als mich mit einem Mal ein sehr merkwürdiges Gefühl überkam – die spontane Erkenntnis, wie unpassend dieses Leben ist. Ich meine, ich dachte an den ganzen Rest der menschlichen Population, der noch nie so einen Laden gesehen oder betreten hat. Und deren Arbeit genau das aufrechterhält!" So spricht Rooney vieles von Cancel Culture über Religiosität bis Umweltverschmutzung an, aber ohne sich je zu sehr zu verstricken. "Etwas ganz anderes: Denkst du jemals an deine biologische Uhr?", heißt es kurz darauf.

Zwischen Genderdebatten und Lust

Das ergibt immer wieder kluge Gedanken und überraschende Schlüsse. Sally Rooney ist eine Art Rachel Cusk für die nächste Generation. Die Settings sind stets etwas gestelzt und die Gespräche immer etwas zu reflektiert – Rooney schreibt das Generationenporträt einer urbanen gebildete Elite auf der Suche nach Sinn ("Wer auf dieser Welt verlässt sich auf mich? Niemand"), Stabilität, Liebe, dem Verhältnis zu den Eltern. Statt groß noch sexuelle Freiheit zu fordern, ist man selbstverständlich bi, aber eben deswegen auch unsicher. Erfrischend unbelastet steht Eileen auch zu devoten Vorlieben beim Sex ("Ich habe dann das Gefühl, dass du alles unter Kontrolle hast und nicht zulässt, dass mir etwas Schlimmes passiert"), dreht aber ebenso den Spieß um und startet einen Telefonsexanruf, so ihr danach ist. Rooney gelingt eine famos reaktionär-reflektierte Szene zwischen Genderdebatten und Lust.

Süße Traurigkeit liegt über allem. Vielleicht ist sie etwas zu wohlfeil. Aber letztlich doch anregend. (Michael Wurmitzer, 15.9.2021)