Autonome Lkws werden zuerst auf bestimmten Autobahnstrecken Güter transportieren. Später könnten sie auch Logistikstandorte im urbanen Raum verbinden.

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Der Gütertransport per autonome Lkws ist in den USA bereits auf dem Sprung in die Praxis. Für den aus Vorarlberg stammenden Telematikexperten Andreas Wendel vom US-Start-up Kodiak ist klar: Die Technologie wird bald auch in Europa verfügbar sein.

STANDARD: Wie sieht Ihre Zukunftsvision des Lkw-Güterverkehrs aus?

Andreas Wendel: Wir arbeiten bei Kodiak am vollautomatisierten Fahren, bei dem tatsächlich kein Fahrer mehr in der Kabine sitzt. Der Lkw fährt zwischen bestimmten Punkten selbstständig. Menschliche Mitarbeiter nehmen den Lkw in Empfang, ent- und beladen ihn oder machen Sicherheitsinspektionen. In den USA mangelt es an Lkw-Fahrern. Kaum jemand will tagelang unterwegs sein. Die Leute wollen am Abend heim zu ihren Familien. Menschliche Fahrer dürfen zudem nur eine gewisse Stundenanzahl am Stück fahren – was sehr wichtig für die Sicherheit ist. Bei vollautomatisierten Systemen fallen diese Limitierungen weg. Die Ware kann über längere Distanzen transportiert, der Truck ökonomischer und ökologischer betrieben werden. Er muss nicht mehr am Limit gefahren werden und braucht pro Strecke weniger Sprit.

STANDARD: Welche Strecken sollen als Erstes bedient werden?

"Unser System muss jederzeit eine Möglichkeit finden, zu einem sicheren Stopp zu kommen." Andreas Wendel
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Wendel: In einer ersten Stufe wird es mehrere Autobahnkorridore geben, in denen wir vollautomatisiert fahren. Gerade in Nordamerika mit seinen langen Überlandstrecken macht das Sinn. Sie verbinden Transfer-Hubs, Umschlagplätze unmittelbar neben Autobahnen. Bis dorthin und ab dort fahren die menschlichen Fahrer die erste und letzte Meile manuell. Später soll es dann möglich sein, verschiedene Logistikzentren zu verbinden – auch wenn diese im urbanen Bereich liegen.

STANDARD: Wie sieht das Geschäftsmodell dazu aus?

Wendel: Im Moment betreiben wir bei Kodiak diese Trucks. Nach einer ersten Ausbauphase wollen wir auch mit großen Frächtern zusammenarbeiten und unsere Technologie in deren Flotte integrieren.

STANDARD: Was passiert, wenn etwas Unvorhergesehenes auftaucht – etwa eine Umleitung?

Wendel: Wäre die Autobahn komplett gesperrt, würde der Truck stehen bleiben und Hilfe anfordern. Innerhalb von wenigen Stunden könnte man ihm neue Karten überspielen. Darüber hinaus lernt die Flotte bei jeder Fahrt eines Lastwagens die Strecke besser kennen. Wir nutzen eine effiziente und skalierbare Mapping-Technologie, die aber eine besonders verlässliche Positionierung auf der Straße zulässt. Wenn sich etwas verändert – etwa eine gesperrte Spur durch eine Baustelle oder auch nur ein Schlagloch –, erkennen das die Trucks und teilen diese Information mit der Flotte. Der Lkw, der zuerst auf eine Veränderung trifft, muss vielleicht etwas langsamer fahren oder eine Spur wechseln, alle weiteren können sich schon frühzeitig auf das neue Element einstellen.

STANDARD: Was muss man bei einem autonomen Lkw anders machen als bei einem Pkw?

Wendel: Wir verwenden Kameras, Radar- und Lidarsysteme als Sensoren. Lidar, das die Umgebung per Laser abtastet, ist aufgrund der Kosten bei Pkws noch kaum zu finden. Im Vergleich zum Preis eines Lkws ist der Preis aber relativ gering. Wir montieren die Sensoren an den Rückspiegeln auf beiden Seiten des Lkws. Das System ist sehr modular, auch vor Ort sind die Elemente gut austauschbar. Anders als bei teilautomatisierten Systemen, die sich darauf verlassen, dass in bestimmten Situationen ein menschlicher Fahrer eingreift, muss unser System jederzeit eine Möglichkeit finden, zu einem sicheren Stopp zu kommen. Das ist wohl der größte Unterschied zu Systemen wie dem Tesla-Autopiloten.

STANDARD: Wo stehen Sie derzeit bei der Entwicklung?

Wendel: Wir fahren jeden Tag und haben bereits 950 Ladungen für große US-Unternehmen transportiert. Wir verwenden unsere Flotte von zehn Trucks, um unsere Entwicklung weiterzutreiben. Die Transporte sind also gleichzeitig Testfahrten. Seit Dezember 2020 haben wir Lieferungen, bei denen der Sicherheitsfahrer, der heute noch mit an Bord ist, nicht mehr eingreifen muss. Unser Rekord sind 1300 völlig autonom zurückgelegte Kilometer am Stück an einem Tag. Auf nichtöffentlichen Teststrecken sind wir auch ohne Fahrer unterwegs. In den nächsten Jahren werden wir auch auf Autobahnen immer öfter auf die Fahrer verzichten. 2024 wollen wir fahrerlos auf mehreren Strecken unterwegs sein.

STANDARD: Kleinere Lkws, kürzere Strecken, besseres Bahnnetz: Europas Transportwirtschaft unterscheidet sich von jener der USA. Muss das Konzept für Europa angepasst werden?

Wendel: Für uns ist die Herangehensweise ähnlich. Die Technologie wird auch in Europa kommen. Hier gibt es sogar den Vorteil, dass die Straßen in wesentlich besserem Zustand sind. Wir werden gut zurechtkommen.

STANDARD: Das Rennen um eine klimaneutrale Antriebsform für Lkws ist noch nicht gelaufen. Batterien, Brennstoffzellen oder gar elektrische Oberleitungen stehen zur Debatte. Mit welcher Variante können Sie am besten?

Wendel: Wir würden mit allen Technologien sofort arbeiten. Die Technik des autonomen Fahrens ist nicht stark vom Antrieb beeinflusst. Wir kooperieren mit mehreren Herstellern, um uns die Technologien anzusehen. Elektrische Oberleitungen wären sogar sehr kompatibel mit unserem Ansatz, weil auch sie auf bestimmte Strecken beschränkt wären. Da würden wir uns gerne einbringen. (Alois Pumhösel, 18.9.2021)