Regionalbahnen bekommen wieder mehr Aufmerksamkeit. In Österreich und Deutschland gibt es Reaktivierungspläne.

Foto: Getty Images / iStock / Szabolcs Takacs

In den Nachkriegsjahrzehnten, als das Auto im Mittelpunkt der Mobilität stand, schlug für eine Nebenbahn nach der anderen die letzte Stunde: Nur noch die großen Linien, die Hauptachsen des Eisenbahn-Fernverkehrs, sollten bestehen bleiben. In den Regionen wurde die Schiene meist nur unzureichend durch Busverkehr ersetzt.

Doch nun scheint eine Renaissance der Nebenbahnen zu beginnen. Ihnen wird unter dem Etikett "Regionalbahnen" eine große Zukunft in einer ökologisch verantwortungsbewussteren Gesellschaft vorausgesagt.

Die Österreichische Verkehrswissenschaftliche Gesellschaft (ÖVG) stellt dazu fest: "Im Gesamtsystem des öffentlichen Verkehrs sind attraktive Regionalbahnen für die örtliche Erschließung, für Stadt-Umlandverkehre, für die Verlagerung des Güterverkehrs notwendig, denn sie beeinflussen die Attraktivität des Gesamtsystems."

Güter und Passagiere

Laut Klimaschutzministerin Leonore Gewessler sollen ihnen von den im ÖBB-Rahmenplan 2021–2026 vorgesehenen 17,5 Milliarden Euro 1,9 Milliarden zukommen. Außerhalb des Rahmenplans sei eine weitere halbe Milliarde Euro vorgesehen. Revitalisierungen von Regional- und Anschlussbahnen würden vorangetrieben, um wieder mehr Fahrgäste und Güter auf die Schiene zu bringen, verspricht Gewessler.

Angesichts dieser zur Verfügung stehenden Bundesmittel hat auch ÖBB-Chef Andreas Matthä plötzlich sein Herz für die bisher verschmähten Nebenbahnen entdeckt. Er versicherte bei einer Veranstaltung mit der Ministerin und dem Verband der Bahnindustrie, sein Unternehmen könnte die Kapazität im Netz bis 2040 verdoppeln: zu 60 Prozent über eine verbesserte Infrastruktur, zu 40 Prozent über Doppelstockgarnituren sowie durch längere und schwerere Züge. Deshalb würden die ÖBB in den kommenden Jahren beträchtliche Investitionen in die Modernisierung und den Ausbau von Regionalbahnen sowie deren Infrastruktur stecken.

Konkurrenzfähig bleiben

"Für unsere Industrie ist eine Bahn-Durchbindung von den Häfen bis direkt ins Werk essenziell", sagte Matthä. "Daher müssen Anschlussbahnen erhalten und neue stärker gefördert werden." Mit den vorgesehenen 1,9 Milliarden Euro würden Strecken ausgebaut und elektrifiziert sowie Bahnhöfe und Haltestellen modernisiert.

Kari Kapsch, Präsident des Verbands der Bahnindustrie, sieht erhebliches Potenzial in den durch die Digitalisierung möglichen Innovationen: "Die Unternehmen der Bahnindustrie arbeiten beispielsweise gemeinsam mit den ÖBB an vielen Pilotprojekten, um dichtere Zugsfolgen, kürzere Taktungen und genaues Tracking von Zügen zu realisieren. Solche Innovationen braucht es dringend, damit die Bahn auch in den Regionen gegenüber der Straße konkurrenzfähig bleibt oder wird, gerade wenn es um den Güterverkehr geht."

In Österreich kennt man, anders als in Deutschland, eine Stilllegung von Strecken nicht. In Deutschland können Trassen mit Schienen darauf jahre- oder jahrzehntelang in der Landschaft liegen bleiben, ohne dass sie ein Zug befährt.

Erst der Anfang

Hierzulande ist die Situation heikler: Entweder wird in Österreich auf einer Strecke der Betrieb eingestellt, oder sie wird gänzlich aufgelassen. Im Fall der vorübergehenden Einstellung kann der Verkehr dort ruhen, allerdings nur drei Jahre lang. Dann muss gehandelt werden: Entweder die Bahn wird zu neuem Leben erweckt, oder die Strecke wird aufgelassen. Will man irgendwann dort wieder Züge verkehren lassen, müsste komplett neu konzessioniert werden, als wären dort nie Schienen gelegen.

In Deutschland geht das leichter: Dort hatte die Deutsche Bahn 2019 einen Stilllegungsstopp verkündet. Nun sollen aufgegebene Strecken reaktiviert werden. "In einer ersten Tranche haben wir insgesamt 1300 Kilometer identifiziert, wo Reisende oder Güter auf die Schiene zurückkehren werden", sagte Jens Bergmann, DB-Netz-Vorstand Infrastrukturplanung und -projekte, bei einer Veranstaltung zur Wiederbelebung stillgelegter Strecken.

Die Deutsche Bahn erstellt nun Erstanalysen und Machbarkeitsstudien mit den Gebietskörperschaften, worauf Planungsbeginn, Genehmigungsverfahren, Umsetzung und Bau folgen. "Wir starten mit 20 Strecken, die im DB-Eigentum sind", sagte Bergmann. Und: Das sei definitiv nur der Anfang.

"So schnell wie möglich", forderte Dirk Flege, Geschäftsführer der Allianz pro Schiene. "Die Menschen sehnen sich nach einem Comeback der Schiene." Die Bahn habe eine "unrühmliche Entwicklung" von Schrumpfungsjahrzehnten hinter sich, klagte er: Das Netz sei seit der Bahnreform von 1994 um 15 Prozent geschrumpft. Der Rest sei überlastet, die Regionen wären abgehängt worden. Nun deute sich eine Trendwende an.

Hohe Kosten

Martin Henke, Geschäftsführer Eisenbahnverkehr des Verbands der Deutschen Verkehrsunternehmen (VDV), sprach gar von einem "historischen Schritt". Seit den 1930ern habe sich die Staatsbahn zurückgezogen, in den 1970er- und 1990er-Jahren seien Listen mit Stilllegungen abgearbeitet worden.

Die Kosten für die Wiederinbetriebnahme seien "extrem unterschiedlich", würden aber bei einer Million Euro pro Kilometer beginnen, je nachdem, ob die Trasse noch vorhanden sei oder darauf zumindest Güterverkehr betrieben werde.

Insgesamt sei mit drei Milliarden Euro Realisierungskosten für diese erste Tranche zu rechnen, meinte dazu DB-Vertreter Bergmann. Die Umsetzungsdauer veranschlagte er mit einem Jahr bis zu drei Jahren. "Bei einem kompletten Neubau können es aber auch zehn Jahre werden." (Stefan May, 16.9.2021)