Der Rechnungshof inspizierte die maßgeblichen Parameter zur Steuerung der Pandemie und woran es dabei in Österreich hapert

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Seit Ausbruch der Corona-Krise sind Gesundheitsdaten in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt. Wo gibt es wie viele freie Betten, wie hoch sind die Ansteckungszahlen, und welche Gruppen sind besonders betroffen? In Österreich müssen Interessierte allerdings oft feststellen, dass es auf derartige Fragen kaum Antworten gibt. Oder aber verschiedene von verschiedenen Behörden.

Erkenntnisse, um es bald besser zu machen

Der Rechnungshof (RH) hat das zum Anlass genommen, die "Verfügbarkeit, Qualität und Aufbereitung von gesundheitsbezogenen Daten zum Infektionsgeschehen und zur epidemiologischen Steuerung" unter die Lupe zu nehmen. Das Ansinnen des parlamentarischen Kontrollorgans liegt dabei vor allem darin, aus den bisherigen Erfahrungen "Lessons Learned" für die künftige Bewältigung von Gesundheitskrisen vorzulegen. Die Prüfung bezog sich primär auf das Jahr 2020, weshalb etwa die Impfungen keine Rolle spielen. Der 213 Seiten starke unveröffentlichte Rohbericht liegt STANDARD und ORF-ZiB vor, im Juli hatte bereits die "Presse" über Inhalte des Berichts geschrieben. Eine Zusammenschau der zentralen Befunde:

Die Probleme begannen laut RH schon vor der Pandemie, da vor ihrem Ausbruch keine umfassende Übersicht über die Vorräte an medizinischer Schutzausrüstung bestand. Zudem habe es weder im Bund noch in den Ländern – speziell wurden Oberösterreich und Salzburg analysiert – vorausblickende Krisenpläne für Beschaffungsvorgänge gegeben. Damit das nicht mehr vorkomme, fordert der Rechnungshof Vorgaben für eine regelmäßige Meldung über den Bestand an Schutzausrüstung an das Gesundheitsministerium sowie eine Rechtsgrundlage für das Errichten strategischer Lager für künftige Notsituationen.

Gute Ausgangslage durch EMS nicht ausgeschöpft

Ausgereifter waren in der Startphase des Virus schon die Möglichkeiten zur Dokumentation des Infektionsgeschehens. Das Epidemiologische Meldesystems (EMS), ein elektronisches Register zur Eintragung von Infektionskrankheiten, war bereits seit 2009 etabliert und taugte grundsätzlich auch zur Einmeldung von Ansteckungsfällen.

Das Gesundheitsministerium habe es allerdings nicht geschafft, die Funktionen des EMS für eine kontinuierliche Überwachung der Covid-Fälle weiterzuentwickeln, befindet der Rechnungshof. So gelinge es nicht, im EMS zu erfassen, wie sich der gesundheitliche Zustand eines Infizierten samt etwaiger Hospitalisierung und Genesung im Zeitverlauf entfaltet, zumal keine Schnittstellen zu den IT-Systemen der Krankenanstalten bestehen. Über das EMS könne theoretisch auch die Information ermittelt werden, wie rasch die Bezirksverwaltungsbehörden mit der Absonderung eines positiven Falls reüssieren – bloß "unterblieb eine entsprechende Vorgabe" zur Eintragung in das System.

Probleme der Identifikation steigern Aufwand

Für weitere Datenprobleme sorgte, dass die Corona-Hotline 1450 – mangels Zugriff auf das Zentrale Melderegister oder Sozialversicherungsregister – Anrufern bisweilen keine korrekte Identität zuzuordnen vermochte. Ähnliche Identifikationsprobleme bei Verdachtsfällen ortet der RH bei der Abstrichnahme und im Labor. Das Resultat: Falsch- und Doppelmeldungen, deren Entwirrung die Behörden zusätzlich belaste.

Einen blinden Datenfleck bilde zudem der niedergelassene Bereich, wo mangels verpflichtender Diagnosecodierung fraglich sei, wie viele Covid-Erkrankte behandelt wurden.

Zahlensalat beeinträchtige Vertrauen

Deutliche Kritik übt der Rechnungshof an der Zahlenvielfalt zu Covid-Indikatoren, mit der die Öffentlichkeit versorgt wird oder – manches ist mittlerweile verbessert – wurde. Gesundheitsministerium, Innenministerium und die Länder veröffentlichten auf ihren Dashboards oder Websites täglich "in unterschiedlichen Formaten zu unterschiedlichen Zeitpunkten Daten mit unterschiedlichen Auswertungszeitpunkten und unterschiedlichem Detailgrad, die sich mitunter auch in ihrer Definition unterschieden", schreiben die Kontrolleure. Das habe das Vertrauen der Bevölkerung in die Behörden und die Richtigkeit der Daten beeinträchtigt und infolgedessen auch der Akzeptanz der Pandemiemaßnahmen geschadet. Demgegenüber sei eine zwischen allen Stellen abgestimmte Vorgangsweise zu den publizierten Kennwerten anzuraten.

Mangelnde Personalplanung für zweite Welle

Den Zusammenbruch des Contact-Tracings während der verheerenden zweiten Welle im Herbst 2020 führt der Rechnungshof auf Versäumnisse in der Personalplanung des vorherigen Sommers zurück. Trotz eines Kalkulationmodells der Weltgesundheitsorganisation, die einen Berechnungsschlüssel für den Bedarf an Contact-Tracern je nach Pandemieszenario bereitgestellt hatte, sei im Nebeneinander von Gesundheitsministerium und Ländern nicht ausreichend vorgesorgt worden. Naheliegende Empfehlung: rechtzeitig planen, besser absprechen.

Arztkontakte gingen zurück, Effekt fraglich

Zu einem vollständigen Bild der Pandemiedaten gehörten idealerweise auch die Kollateralschäden in Form anderer Gesundheitsprobleme, die der Covid-Fokus in den Schatten stellte. Laut E-Card-Abrufdaten sanken die ärztlichen Konsultationen im Jahr 2020 um 6,55 Millionen Euro gegenüber dem Vorjahr, das ist ein Minus von sieben Prozent. Wobei es stark auf die Sparte ankam: Die Allgemeinmedizin war davon weit weniger betroffen als etwa Ärztinnen und Ärzte im Bereich Zahnmedizin oder Kinderheilkunde.

Bei stationären Krankenhausaufenthalten aufgrund von Herzinfarkten wurde 2020 ein Rückgang von 16 Prozent verzeichnet, ebenso bei psychiatrischen Diagnosen. Aufenthalte von Krebskranken schwanden um elf Prozent. Im Intensivbereich gingen die Belagstage um fünf Prozent zurück, die Ambulanzkontakte sanken um 16 Prozent.

In welchem Ausmaß diese Fernhaltung von Gesundheitseinrichtungen für Folgeschäden verantwortlich war, liegt aber weitestgehend im Dunkeln, wie der Rechnungshof bedauert. Er vermisst hierzu eine systematische Erhebung seitens des Gesundheitsministeriums und der Gesundheitskasse. Er geht allerdings davon aus, dass manche Menschen mit Beschwerden nicht oder zu spät medizinische Hilfe suchten, weil sie Scheu hatten, das System vermeintlich zu überlasten. Die Botschaften der Regierung hätten hier nicht den richtigen Weg gewiesen, da sich Menschen offenbar zu einer allzu pauschalen Kontaktreduktion veranlasst sahen, urteilt der Rechnungshof: In keiner Lockdownphase 2020 habe das Gesundheitsministerium klar kommuniziert, dass man vor der Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen eben nicht zurückschrecken solle.

Gekommen, um zu bleiben

Positiv bewertet der RH die pandemiebedingten Fortschritte in der Telemedizin. Die Politik möge überlegen, die – jüngst wieder reaktivierte – Option zur telefonischen Krankschreibung in den Dauerbetrieb zu übernehmen. Auch die Verschreibung von Medikamenten ohne Ordinationsbesuch und die Weiterleitung der Rezepte direkt an die Apotheken eigneten sich, beibehalten zu werden. (Theo Anders, 19.9. 2021)