Die meisten Menschen haben dafür gestimmt, dass Gavin Newsom im Amt bleibt.

Foto: imago images/UPI Photo

Der Recall des kalifornischen Gouverneurs Gavin Newsom fällt aus. Die Wählerinnen und Wähler haben sich dafür entschieden, dass der Demokrat weiter im Amt bleibt. Doch damit ist die Sache nicht erledigt. Wenn es nach Erwin Chemerinsky geht, dann muss das Recall-System prinzipiell reformiert werden, denn der Dekan der Rechtsfakultät der Universität Berkeley sagt, dass die Abstimmung – so wie sie nun durchgeführt wurde – verfassungswidrig ist.

Vor wenigen Wochen hat Chemerinsky in einem Gastbeitrag in der "New York Times" für Aufregung gesorgt. Eigentlich wollte er, dass die Abstimmung am Dienstag gar nicht stattfindet. Doch den Wählerinnen und Wählern wurden nichtsdestotrotz die beiden Recall-Fragen gestellt: "Soll Gouverneur Gavin Newsom abgesetzt werden? Wenn ja, welche der Kandidatinnen und Kandidaten, die zur Wahl stehen, soll ihn ersetzen?"

Somit braucht es für die Absetzung des Gouverneurs eine absolute Mehrheit der Stimmen. Der Nachfolger würde nur mit relativer Mehrheit ins Amt gewählt werden. "Entscheidend ist, dass Herr Newsom bei der zweiten Frage nicht zur Wahl steht", schreibt Chemerinsky gemeinsam mit Jus-Professor und Berkeley-Kollegen Aaron Edlin.

48 gegen 18 Prozent

Im Gespräch mit dem STANDARD bekräftigt Chemerinsky seine Vorwürfe. Er führt aus, dass der Recall vor allem deshalb verfassungswidrig sei, weil die unterschiedlichen benötigten Mehrheiten unfair seien.

Hätte Newsom verloren, dann wäre das laut Umfragen mit 48 oder 49 Prozent der Stimmen passiert. Also hätten sich ebenso viele Menschen dafür ausgesprochen, dass er im Amt bleibt. Seine Nachfolgerin, sein Nachfolger hätte laut mehreren Umfragen nur 18 Prozent benötigt, um in die Gouverneursvilla zu ziehen – Larry Elder hat schlussendlich 32 Prozent erhalten. "Das ergibt keinen Sinn", sagt Chemerinsky: "Es ist verfassungswidrig, jemanden zu wählen, den 18 Prozent der Menschen haben wollen, im Gegensatz zu jemandem, den 48 Prozent präferieren." Also müsste Newsom eigentlich noch einmal zur Auswahl stehen.

Bei der Recall-Wahl Arnold Schwarzeneggers im Jahr 2003 sei das kein Problem gewesen. Damals wurde Gray Davis mit nur 44,6 Prozent Unterstützung abgesetzt und Schwarzenegger mit 48,5 Prozent gewählt.

Supreme Court und Kritik

Doch prinzipiell sei durch das Recall-System Kaliforniens das Prinzip "Ein Wähler, eine Stimme" gefährdet, argumentieren die Rechtsexperten. Sie zitieren in dem Zusammenhang zwei Entscheidungen des US-Höchstgerichts aus dem Jahr 1964. Damals sei es um die unterschiedliche Größe der Wahlbezirke gegangen. Ein Repräsentant hätte demnach unterschiedlich viele Wählerinnen und Wähler für einen Sieg benötigt.

"Nicht so schnell", schreibt der emeritierte Verfassungsrechtsprofessor Douglas Kmiec in einer Erwiderung bei "The Hill". Bei den Entscheidungen im Jahr 1964 sei es vor allem darum gegangen, den Rassismus auszumerzen. Denn mit den unterschiedlich großen Wahlbezirken wollte man damals systematisch die Mitsprache von Afroamerikanern begrenzen. Das sei in Kalifornien nun nicht der Fall. Für Kmiec ist es zudem gefährlich, die Legitimität von Wahlen infrage zu stellen – er zieht Parallelen zu den nie bewiesenen Wahlbetrugsvorwürfen des ehemaligen Präsidenten Donald Trump.

Dass in den Vereinigten Staaten oft Entscheidungen mit einfacher Mehrheit getroffen werden können, sei nicht unüblich, schreibt der Verfassungsexperte: Das sei etwa am Supreme Court der Fall, aber auch im Repräsentantenhaus oder im Senat. Warum sollte die einfache Mehrheit dann nicht auch für die Wahl eines Gouverneurs reichen? Für Kmiec wurde es "viel zu einfach, das Wort 'verfassungswidrig' in eine parteiische Debatte zu werfen". (Bianca Blei, 15.9.2021)