Wer schafft Bedingungen für linkes politisches Handeln? Soziologe Didier Eribon geriet sich mit Chantal Mouffe in Wien liebevoll in die Haare.

Foto: Robert Newald

Für die "Kunst der Versammlung" ("The Art of Assembly") hat ausgerechnet die Pandemie einen fruchtbaren Nährboden gebildet: trotz der regierungsamtlichen Mobilisierung unzähliger unsichtbarer Babyelefanten. Möglich wurde dieses kleine Corona-Wunder unter anderem deswegen, weil sich die Teilnehmer an vielen Protestdemonstrationen zumeist aus dem Lager der Corona-Leugner rekrutierten. In der Festwochen-Reihe Gesellschaftsspiele hat Kurator Florian Malzacher jetzt die beiden französischsprachigen Sozialforscher Chantal Mouffe und Didier Eribon nach Wien eingeladen.

Tatsächlich wurde die gutbesuchte Veranstaltung im Museumsquartier auf Englisch abgehalten. Was Mouffe und Eribon im Handumdrehen zu gestischen Höchstleistungen anspornte und die beiden auf die Aufführung einer bestens eingeübten, eheähnlichen Komödie verpflichtete.

Modell mit Affekten

Auf der einen Seite Mouffe: Mit rollenden Konsonanten und unermüdlicher Suada plädiert die Belgierin seit vielen Jahren für einen Populismus von links. Es sei sinnlos, gesellschaftliche Verwerfungen zu leugnen. Doch anstatt sich gegenseitig bis aufs Messer zu bekämpfen, stünde es im Ermessen fortschrittlicher Bewegungen, sich – ungeachtet allfälliger Differenzen – zusammenzuschließen. Mouffes "Agonismus" beschreibt ein etwas vages Modell der Affektkultur: Das Feld politischen Handelns dürfe nicht rechten Populisten und deren dunkelbraunen Brüdern überlassen werden. Mouffes linkes Hegemoniemodell plädiert daher für eine Herausforderung von links, gebildet durch kurrente Protestbewegungen wie Gelbwesten oder Podemos.

Auf der anderen Seite meldete sich in der Halle G ein sanft widerstrebender Eribon (Rückkehr nach Reims) zu Wort. Ein Phänomen wie Gesellschaft könne nur entlang von Trennungslinien adäquat bedacht werden. Doch seit der neoliberale Kapitalismus auch die letzten Reste der stolzen proletarischen Kultur rückstandsfrei entsorgt hat, sei es um die Möglichkeit progressiver Zusammenschlüsse schlecht bestellt. "Wie soll zwischen isolierten Dienstleistern so etwas wie Solidarität entstehen?"

Wo Mouffe auf die Synchronisation unterschiedlicher Anliegen setzt, da hört Eribon bereits die rechte Nachtigall trapsen. Der anregende, vielfach skizzenhafte Abend entließ ins Offene. Eribon: "Tendieren nicht alle Populismen à la longue zum Nationalismus?" – Mouffe: "Spinoza sagt: Ein Affekt kann nur durch einen stärkeren Affekt überwunden werden!" Sie hätte ihr Anliegen ihrem lieben Freund schon oft erklärt. Auch befreundete Denker eint umso nachhaltiger, was sie im Einzelnen trennt. (Ronald Pohl, 15.9.2021)