Deutscher Expressionismus: Pastell "Sitzende Frau vor einem Ofen (Erna)" von Ernst Ludwig Kirchner von 1913.
Foto: Leopold Museum, Wien / Manfred Thumberger

Die Bezeichnung "Sammlerin" gefiel ihr nicht, "Expertin" erschien ihr zu hochtrabend. Lieber sah sich Hermi Schedlmayer als "speziell Interessierte". Ihre Leidenschaft galt dem Architekten, Kunstgewerbler und Secessionisten Otto Prutscher (1880–1949), hatte dieser doch die Villa gestaltet, die die Familie Schedlmayer 1989 in Baden bei Wien erwarb. Das einst durchdesignte Gebäude stand beim Kauf leer. Im Verlauf dreier Jahrzehnte holten Fritz und Hermi Schedlmayer Möbel, Lampen, Vasen und vieles mehr in das 1912 entstandene Gesamtkunstwerk zurück.

Aber das Stöbern bei Kunsthändlern und auf Auktionen war der Dame des Hauses nicht genug. Sie trug auch handgezeichnete Entwürfe und andere Materialien zu Prutschers Œuvre zusammen. Bei ihrem Ableben hinterließ sie eine Datenbank mit mehr als 6000 Einträgen zu Josef Hoffmanns vielseitigstem Schüler. Und sorgte durch Schenkungen an die Universität für angewandte Kunst und das Mak für die wissenschaftliche Aufarbeitung. Nach einer Prutscher-Schau im Mak 2019 präsentiert nun das Leopold-Museum einen breiteren Einblick in Die Sammlung Schedlmayer, die 2018 unter den Erben aufgeteilt wurde.

Gläser, Karaffen, Vasen: Otto Prutschers Ausstellungsvitrine von 1908.

Foto: MAK – Museum für angewandte Kunst, Wien

Bieder bis prunkvoll

Die Privatkollektion passt bestens zum Museum, schließlich erwarb schon Rudolf Leopold Kunsthandwerk von Prutscher. Im ersten Saal führt eine Fotoserie hinein in die Badener Villa, deren Räume unprätentiöse Eleganz und Behaglichkeit ausstrahlen. Die Vitrine, die zur Kunstschau 1908 entstand, hat es buchstäblich in sich: Bronzeplatten, in die Muster getrieben wurden, rahmen eine Auswahl erlesener Gläser, Karaffen und Vasen; darunter stechen Prutschers farbige Stängelgläser hervor, um die sich Sammler heutzutage raufen. Exzentrik spricht aus der Großen Vase auf Säule von 1925. Das Glasgefäß taugt für langstielige Teerosen, während in die kleinen Gläser unten gerade einmal Veilchen passen.

Besorgniserregende Zeit: Karl Hofer "Drei Mädchen am Fenster" (1939)
Foto: Leopold Museum, Wien / Manfred Thumberger / Bildrecht, Wien 2021

Mobiliar dominiert die erste Hälfte der Schau. Wiewohl auch Objekte von Josef Hoffmann oder Kolo Moser vertreten sind, bleibt Prutscher der Star der Sammlung. Bei dem Architekten lässt sich weniger eine stilistische Entwicklung als ein formales Nebeneinander ablesen. Der Gestalter, der auch Gemeindebauten plante, orientierte sich am (eher konservativen) Geschmack seiner Kunden. So entwarf er etwa 1911 ein schlichtes, am Biedermeier orientiertes Schränkchen und im gleichen Jahr einen Prunkschrank mit einer Überfülle an Intarsien. Dass Prutscher keine eindeutige Handschrift verfolgte, ließ ihn leichter in Vergessenheit geraten.

Freundliche Aura: Selbstporträt von Broncia Koller-Pinell (um 1910).
Foto: Leopold Museum, Wien/Manfred Thumberger

Unterbewertet bis verfemt

Während sich Hermi Schedlmayer für die angewandte Kunst begeisterte, schlug das Herz ihres Gatten für Malerei, Grafik und Skulptur. "Wir werden etliche Gemälde aus der Sammlung als Dauerleihgaben erhalten", freute sich Museumskurator Ivan Ristić, der den letzten Teil der Schau den Bildern widmet. Von einem Damenbildnis Broncia Koller-Pinells blickt eine Frau mit verschatteten Augen – Melancholie oder "Resting Bitch"? Die Dargestellte könnte die Tochter der Künstlerin sein. Sich selbst hielt die Malerin mit einer freundlicheren Aura und einer roten Nelke fest.

Unter den Werken dominieren heimische Künstler der Zwischenkriegszeit, die am Markt lange unterbewertet war, und Papierarbeiten des ungleich teureren deutschen Expressionismus. Ein zugkräftiges Plakatsujet liefert Karl Hofers Ölbild Drei Mädchen am Fenster. Kein Wunder, dass dieses Trio 1939 mit besorgtem Blick auf die Straße blickt: Die Nationalsozialisten nahmen Hofer den Lehrstuhl weg und präsentierten seine Bilder in der Schau Entartete Kunst. Auch Ernst Ludwig Kirchners Kunst wurde dort verfemt. Der Hauptvertreter der Künstlergruppe Die Brücke besticht in seinem Pastell Sitzende Frau vor einem Ofen (Erna) mit dem Kontrast von Orange und Blau.

Das Leopold-Museum preist die Schau im Untertitel als Eine Entdeckung an. Das wirkt angesichts der Prutscher-Schau im Mak etwas übertrieben. Vielleicht wäre Eine Seltenheit passender. Privatsammler, die mit einer solchen Akribie und Hingabe einen historischen Kontext wiederherstellen, muss man hierzulande mit der Lupe suchen. (Nicole Scheyerer, 16.9.2021)