Die kreative Crew am Mittwoch im neuen Berliner Büro von links nach rechts: Philipp Käßbohrer, Rachel Eggebeen, Sasha Bühler, Matthias Murmann, Edward Berger, Matthias Schweighöfer, Katharina Eyssen, Eva van Leeuwen, Hadnet Tesfai, Jantje Friese, Oliver Ziegenbalg, Peter Thorwarth, Co-CEO Netflix Reed Hastings, Anna Winger, Christian Schwochow, Nina Maag und Larry Tanz.

Foto: Netflix/Andreas Rentz

Das neu bezogene Netflix-Büro am Warschauer Platz in Berlin wirkt zwar noch ein wenig steril, doch dass Kreativität hier das Hauptprodukt ist, kann man nicht übersehen. In einem Besprechungsraum hängen die riesigen Schachfiguren aus "The Queen's Gambit" von der Decke, den Gang hinunter stehen zwischen den Schreibtischen die Geldkisten von Nairobi und dem Professor aus "La casa de papel", in einem weiteren kleinen Raum sitzen gerade vier Mitarbeiterinnen an ihren Laptops, während hinter ihnen die bunte Lichterkette aus "Stranger Things" an der Retrotapete glüht. Und hinter den Buffettischen schmückt in Überlebensgröße der Duke of Hastings aus "Bridgerton" die Wand.

Der andere Hastings

Doch am Mittwochvormittag kam man wegen eines anderen Hastings, nämlich wegen Netflix-Gründer und CEO Reed Hastings, der gemeinsam mit vielen kreativen Köpfen seines Unternehmens zur Eröffnung des Berliner Büros geladen hatte. Der 2.500 Quadratmeter große Standort (samt Dachterrasse und internem Kino) wird das Zentrum für die Unternehmungen von Netflix in der gesamten sogenannten DACH-Region, also in Deutschland, Österreich und der Schweiz sein.

Nach Erfolgen mit Serien wie "Dark" oder "How to Sell Drugs Online (Fast)", "Freud" oder auch dem zum großen Teil in Berlin speilenden "Unorthodox" will die Streaming-Plattform ihr Engagement in der deutschsprachigen Kreativszene deutlich ausbauen.

500 Millionen Euro will man bis 2023 in deutschsprachige Titel investieren. Vor allem auch mit jungen Talenten will man zusammenarbeiten. Bisher wurden über 40 Produktionen in der DACH-Region veröffentlicht, bis 2023 sollen es 80 Serien, Filme und Shows sein.

Faible für History

Was seine eigenen Lieblingsserien seien, darauf will Hastings auf dem Podium beim Event – von Moderatorin Hadnet Tesfai gefragt – nicht recht antworten. Wichtig sei, was das Publikum liebe. Ein Faible für historische Stoffe verrät er aber doch. Und da dürfte der Chef in den nächsten zwei Jahren voll auf seine Kosten kommen.

Etwa bei Regisseurs Edward Bergers Adaption des Romans "Im Westen nichts Neues" von Erich Maria Remarque. Berger, der zuletzt unter anderem mit der Serie "Deutschland 83" reüssierte, schwärmte nicht nur vom mutigen Investor Netflix, durch den er seine deutsche, nicht heldenverehrende Perspektive auf Krieg zeigen durfte, sondern auch vom 100 Jahre alten Roman Remarques, dessen Sprache klinge, "als wäre es vor drei Jahren geschrieben worden". Der Spielfilm mit dem jungen Burgtheater-Mimen Felix Kammerer soll 2022 erscheinen.

Eines von zwei Panels am Mittwoch bei der Eröffnung des Berliner Büros.
Foto: Netflix/Andreas Rentz

Bei Regisseur Christian Schwochow geht es nicht mehr um den Ersten Weltkrieg, sondern in der Romanverfilmung "München – Im Angesicht des Krieges" um die Zeit kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Jeremy Irons gibt darin Neville Chamberlain. Es ist Schwochows erste Spielfilmproduktion für Netflix. Für die Netflix-Serie "The Crown" führte er zuletzt bei zwei Episoden der dritten Staffel Regie.

Auch die vielfach preisgekrönte Drehbuchautorin von "Dark", Jantje Friese, taucht mit ihrer Miniserie "1899" tief in die Geschichte ein und bedient sich dabei des Mystery-Genres. Gedreht wird die Serie im neuen High-Tech-Atelier in Babelsberg. Alles, was Friese verrät: "'1899' spricht alle an, die gerne puzzeln und miträtseln. Es geht um ein Einwandererschiff, das 1899 nach Amerika aufbricht und auf allerlei Mysteriöses trifft." Mehr davon im Herbst 2022 auf Netflix.

Bisexuelle Sissi

Die Drehbuchautorin Katharina Eyssen geht 2022 auch mit royaler Geschichte an den Start, aber anders als in "The Crown" wird es bei ihr ein bisserl österreichisch. In der Serie "The Empress" (Regie: Katrin Gebbe) geht es nämlich um die von Kitsch und Sagen umwobene österreichische Kaiserin Elisabeth. Auf sie hat Eyssen ihren ganz eigenen Blick: Der Stoff sei gut für ein Familiendrama – und Sisi oder Sissi sei für sie eine moderne Person gewesen, erzählt die Autorin, "extrem ihrer Zeit voraus, genderfluid und bisexuell in meinen Augen". Philip Froissant und Devrim Lingnau spielen Franz und Sisi. Gedreht wurde in Bayern, wo Elisabeth ja auch herkam.

Tausendsassa Schweighöfer

Einen "Tausendsassa" nennt Sasha Bühler, die für deutsche Filmproduktion bei Netflix verantwortlich ist, Matthias Schweighöfer, der am Mittwoch auch einen Einblick in seine Arbeit als Regisseur, Produzent du Schauspieler gab. Schon ab Ende Oktober gibt es von und mit Schweighöfer "Army of Thieves", das Prequel zu "Army of the Dead" zu sehen, und 2022 spielt er den Coach in der wahren Geschichte zweier Schwestern, die es als syrische Kriegsflüchtlinge über Deutschland zu den Olympischen Spielen schafften. Schon das Drehbuch von Zack Snyder und Shay Hatten zu dieser wahren Geschichte trieb Schweighöfer "die Tränen in die Augen".

Anna Winger am Wort.
Foto: Netflix/Andreas Rentz

Die erfolgreiche Erschafferin von "Deutschland 83" und "Unorthodox", Anna Winger, wird mit ihrer 2016 in Berlin gegründeten Produktionsfirma Airlift übrigens eine enge Kooperation mit Netflix eingehen und weitere Serien für Netflix entwickeln.

Für die kommenden Lockdowns wird es jedenfalls genug zu schauen geben. (Colette M. Schmidt aus Berlin, 15.9.2021)