Tessa Ganserer stammt aus dem Bayerischen Wald und lebt mit ihrer Frau und ihren beiden Söhnen in Nürnberg. Jetzt will sie nach Berlin wechseln und dort Politik machen.

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Wenn der eigene Name zum ersten Mal auf dem Stimmzettel für eine Bundestagswahl steht, dann freuen sich die meisten Anwärterinnen und Anwärter bei diesem Anblick. Tessa Ganserer hingegen ist wütend. "Das ist der Name einer Person, die nicht mehr existiert", sagt die 44-jährige Grünen-Politikerin aus Nürnberg.

Sie sitzt im Café und nippt an einem Vitaminsaft. Ihre Nägel sind golden lackiert, die langen blonden Haare fallen über ein Tuch im Leopardenlook. Auf dem Stimmzettel wird sie jedoch als "Markus (Tessa) Ganserer" bezeichnet.

Früher war sie Markus Ganserer. Schüler, Studierender, Forstwirt, Ehemann, zweifacher Vater – alles traf auf einen Mann zu. Aber es passte innen drin nicht.

"Ich war nie ein Bub", sagt sie, "es hat mich auch nie jemand gefragt, ob ich einer sein möchte." Aber was nicht richtig war, blieb ihr selbst lange unklar: "Mir fehlten die Worte, es war einfach unaussprechlich."

Öffentlichkeit gescheut

2009 zieht Ganserer heimlich ein Kleid ihrer Ehefrau an. "Ich blickte in den Spiegel und wusste plötzlich: Das ist mein eigenes Ich", erinnert sie sich. An diesem Tag wurde aus Markus Tessa.

Zuerst nur heimlich, dann werden nach und nach Familie und Freunde eingeweiht. Negative Reaktionen gibt es nicht, dennoch scheut sich Ganserer lange, auch in der Öffentlichkeit als Frau aufzutreten. Im bayerischen Landtag, in dem sie seit 2013 für die Grünen sitzt, arbeitet weiter "Markus Ganserer".

Die AfD applaudiert nicht

Irgendwann geht es nicht mehr. Ganserer, völlig zerrissen und ausgelaugt, will sich nicht verstecken. Sie beschließt, nur noch Tessa zu sein. "Tessa Ganserer hat mir in einem persönlichen Gespräch mitgeteilt, dass sie ab sofort als Frau in Erscheinung treten möchte. Ich darf Sie alle herzlich bitten, sich dieser Verantwortung bewusst zu sein", erklärt die bayerische Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) im Jänner 2019 im bayerischen Parlament. Es gibt viel Zuspruch, nur bei der AfD applaudiert niemand.

Einerseits ist das Coming-out Befreiung, andererseits der Beginn der "emotional anstrengenden Diskriminierung", wie Ganserer sagt. Sie bekommt den "Markus" nicht aus den offiziellen Papieren. Dazu müsste nach dem Personenstandsgesetz in der Geburtsurkunde Vorname und Geschlecht geändert werden.

Dafür braucht es zwei psychologische Gutachten. Diese aber will Ganserer nicht über sich ergehen lassen. "Gefragt wird nach Analsex und Selbstbefriedigung, das geht doch den Staat überhaupt nichts an", sagt sie.

Unbürokratische Änderung gefordert

Die Konsequenzen ihrer Verweigerung spürt sie im Alltag oft. Braucht Ganserer einen Mietwagen, muss sie lang erklären, wieso in ihrem Führerschein der Name "Markus" steht. "Entwürdigend" sei das. Ganserer fordert, dass man wie in Dänemark, Belgien oder Malta ganz unbürokratisch neue Papiere auf dem Standesamt bekommen kann.

Bis 2011 waren in Deutschland für eine Personenstandsänderung eine geschlechtsangleichende Operation und der Nachweis von Unfruchtbarkeit nötig. Dann schob das Bundesverfassungsgericht dem einen Riegel vor. Richtig sei das gewesen, sagt Ganserer, denn: "Geschlecht ist nicht das, was man zwischen den Beinen hat."

Daher spricht sie auch nicht über mögliche geschlechtsangleichende Operationen: "Das ist Privatsache." Es gibt ja auch genug anderes, über das zu reden wäre: den Hass, der ihr in den sozialen Netzwerken entgegenschlägt.

Angst aus Unsicherheit

"Trans ist das neue Feindbild", sagt Ganserer und versucht, selbst neutral zu bleiben: "Viele Menschen sind nicht böse, sie haben einfach aus einer Unsicherheit heraus Angst. Oft sind auch Glaube und Religion tief verwurzelt."

Manchmal, sagt Ganserer, wäre sie heilfroh, bloß privat Transfrau zu sein, weil es anstrengend ist, so viel über sein Innerstes reden zu müssen. Andererseits freut sie sich auf den Bundestag, in den sie mit sicherem Listenplatz aller Wahrscheinlichkeit nach einziehen wird.

"Mir hat ein transsexueller Klaus Wowereit gefehlt", meint sie und erinnert an das berühmte Coming-out des früheren Berliner Bürgermeisters ("Ich bin schwul, und das ist auch gut so"). Also will Ganserer selbst Mut machen, damit es andere nach ihr leichter haben.

Allein wird sie im Bundestag wohl nicht sein. Auch die 27-jährige transidente Grünen-Politikerin Nyke Slawik aus Nordrhein-Westfalen dürfte den Einzug schaffen. Und je nach Wahlergebnis könnte noch Victoria Broßart (29) von den bayerischen Grünen dazukommen.(Birgit Baumann aus Berlin, 16.9.2021)