Legende: José Carreras in der Wiener Staatsoper.

Foto: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Es sind Bilder wie aus einer anderen Zeit: bei der Fußball-WM 1990 schmettern Plácido Domingo, Luciano Pavarotti und José Carreras in den römischen Caracalla-Thermen vor 6000 Anwesenden und 800 Millionen Fernsehzuschauern Opernhits wie O sole mio und Nessun dorma. Die erste und zugleich letzte erfolgreiche Klassik-Boyband war geboren. 1996 trat das Trio im Münchner Olympiastadion und im Wiener Ernst-Happel-Stadion auf, drei Jahre später besangen sie gemeinsam Christmas in Vienna. Gefeiert wurden sie wie Rockstars, und Oper avancierte plötzlich zum Massenphänomen, mit dem sich Millionen verdienen ließen. Heute ist dieser Mainstream-Boom längst Geschichte.

"Die Staatsoper ist für ihn künstlerische Heimat", sagte Bogdan Roščić zu Beginn des Abends. Hier hat José Carreras bis 1996 über 140 Vorstellungen absolviert. Ein Leben ohne Musik? Für den katalanischen Tenor unvorstellbar. Also kündigte er 2016 eine mehrjährige Abschiedstournee an und beglückte das mit Publikum mit Opernarien, Liedern und Operette. Wie sehr sein Herz immer noch für die Bühne schlägt, konnte man am Dienstag in Wien erleben, wo Carreras "seinem" Publikum endgültig Adieu sagte. Sogar Superstar Elīna Garanča war gekommen, um mit ihm zu singen.

Lust am Singen

Mit im Gepäck hatte der 74-Jährige Lieder von Francesco Paolo Tosti, Joaquín Rodrigo oder Rodolfo Falvo. Aus einer Loge wehte die katalanische Fahne, genau wie damals, als er nach der überstandenen Leukämie-Erkrankung mit einem Liederabend an die Staatsoper zurückkehrte und noch vor Beginn des Konzerts mit stehenden Ovationen bedacht wurde. Ein eingespieltes Video erinnerte daran. Unvergessen auch seine Darbietung des Don José in Bizets Carmen an der Seite von Agnes Baltsa: umwerfend gut aussehendend, stimmlich eine Offenbarung. Was für ein Timbre, was für eine Kraft! "Ich musste 75 Jahre alt werden, um den Don José so zu hören, wie ich ihn mir immer erträumt habe", soll Herbert von Karajan damals gesagt haben.

Das charmante Lächeln ist José Carreras, der auf der großen Bühne noch schmaler, zarter wirkte, geblieben. Und er hat immer noch sichtliche Lust am Singen – wen kümmert es da, dass die Stimme etwas brüchig ist und das Vibrato breit. "En Aranjuez amor tu y yo", heißt es in Rodrigos berühmtem Lied. Carreras singt, als wäre es das letzte Mal, und man kann den verflogenen Duft der Orangen erahnen.

Es folgten fünf Zugaben – spätestens bei Augustin Laras Granada gab es im Publikum kein Halten mehr. Der Gesamterlös des Abends floss in Carreras’ karitative Stiftung Cape 10. Von Bogdan Roščić gab es zum Abschied ebenfalls ein Geschenk: das Originalplakat ebenjener Bohème, mit der er 1977 in Wien seinen Durchbruch gefeiert hatte. (Miriam Damev, 15.9.2021)