Wien – Gabriele und Michael Kornherr haben es aufgegeben, mit Kunden über Sinn und Unsinn der Covid-Impfung zu diskutieren. Sie seien es müde geworden, sich in lange Debatten zu verstricken, die zu nichts führen, seufzt das Wiener Ehepaar, das im Alsergrund die Confiserie "Zum süßen Eck" führt. "Stattdessen sollte sich einer der vielen Experten der Politik nur einen Tag lang in unser Geschäft stellen und die Regeln exekutieren, die sie uns vorschreiben. Aber so praxisorientiert denkt in der Regierung leider keiner."

Corona zehrt an den Kräften des Handels. Die Barrieren für den Eintritt in die Geschäfte haben sich am Mittwoch erhöht.
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Die Süßwarenhändler halten es für zumutbar, dass in Österreichs gesamtem Handel ausnahmslos FFP2-Schutzmasken getragen werden müssen – ob man nun geimpft ist, getestet oder genesen. "Das wäre einfach und klar. Aber die Eier, das umzusetzen, hat die Regierung nicht. Dabei wäre es ihr Job, gerade Linien zu ziehen. Dafür wurde sie gewählt."

"Zu wenig Glaubwürdigkeit"

Er habe großes Verständnis für persönliche Freiheiten, sagt Michael Kornherr, aber müsse nicht irgendwann das Gemeinwohl über individuelle Interessen gestellt werden? Zu wenig sei getan worden, um die Notwendigkeit der Impfung glaubwürdig zu machen und den Leuten die Angst davor zu nehmen. An einer Impfpflicht für sensible Branchen sieht er keinen Weg vorbei, und er nimmt davon auch die Beschäftigten des Handels nicht aus.

"Wird einer von uns krank, können wir zusperren", fügt Gabriele Kornherr hinzu, während sie kleines Konfekt in Kartons schlichtet. Was ein vierter Lockdown bedeutet, will sie sich gar nicht ausmalen. Als Süßwarenhändler dürften sie zwar offen halten, was aber das Recht auf staatliche Unterstützung verwirke, auch wenn Kunden ausblieben. An Förderungen für Onlineshops fehle es nicht. Doch was nutzten diese, wenn IT-Experten einen weit ins nächste Jahr hinein vertrösteten, weil sie derzeit dafür nicht genug Kapazitäten hätten.

"Deswegen Streit anfangen?"

Österreichs Handel ist auf die Politik nicht gut zu sprechen. Zu spät kam die Verordnung zu den neuen Corona-Regeln, zu verwirrend ist diese im Detail. Gestritten wird vor allem über die Kontrolle der Pflicht zur Maske und damit der Impfpässe. "Was genau gilt denn seit heute wirklich? Kennen Sie sich damit aus?", fragt eine Trafikantin aus Wien-Döbling.

Ihre Kunden über Maskenregeln zu belehren, darauf lässt sich die ältere Dame gar nicht mehr ein. Schon seit Wien mit strengeren Vorgaben aus der Reihe tanzte, versucht sie sich Debatten mit Burgenländern und Niederösterreichern, die "oben ohne" einkaufen, zu ersparen. "Soll ich deswegen Streit anfangen?"

Sie selbst ist geimpft und sitzt hinter Plexiglas. Im Verkaufsraum trägt sie FFP2-Maske. Eine Mitarbeiterin ab sofort vor der Tür abzustellen, um zu kontrollieren, ob Kunden vorschriftskonform eintreten, hält sie für realitätsfremd. "Wer bezahlt mir die Mehrkosten?"

"Machen S' kein Drama draus"

Ein paar Häuserblocks stadtauswärts zuckt die Inhaberin eines kleinen Lebensmittelgeschäfts resigniert mit den Schultern. Schon bisher nehme es mit dem Maskentragen kaum einer ernst. Was in Supermärkten klaglos akzeptiert werde, gelte für familiär geführte Shops offenbar nicht. "Machen S' kein Drama draus", habe sie sich von Kunden anschnauzen lassen müssen, die sie gebeten hatte, nur mit Mundschutz einzukaufen. Jemanden ihres Geschäftes zu verweisen, könne sie sich angesichts ihrer ohnehin geringen Umsätze nicht leisten.

"Viele Leute sind ahnungs- und rücksichtslos. Und den meisten ist das Virus mittlerweile wurscht", fasst ein Werkzeughändler in einem Wiener Außenbezirk seine Erfahrungen mit Corona zusammen. Kontrolle habe er seit dem Ausbruch der Pandemie keine einzige erlebt. "Die Polizei hat auch Wichtigeres zu tun." Das ständige Hin und Her der Verordnungen sei geradezu eine Aufforderung, diese infrage zu stellen, folglich zu ignorieren und mit der neuen Freiheit der Geimpften zu spielen.

"Kein Zwang"

"Die Leute wollen halt keinen Zwang, das ist wie bei kleinen Kindern. Weil ja die Politik auch lügt wie gedruckt", seufzt eine Währinger Modehändlerin. Maske trägt sie anders als ihre Mitarbeiterin keine. Im Falle eines vierten Lockdowns hat sie für sich beschlossen, die Boutique für immer zuzusperren. "Die Kunden werden immer weniger. Die paar Jahre bis zur Pension überbrücke ich auch so."

Niemanden ohne Mundschutz trifft man in einer Buchhandlung einige Straßenzüge weiter an. Nach unzähligen Plaudereien mit den Stammkunden über ihren aktuellen Impfstatus erübrigen sich viele Kontrollen, erzählt eine Mitarbeiterin. Verständnis hat sie für FFP2-Masken-Verweigerer keine. Hart, diese zu tragen, sei es für Verkäufer. Während der kurzen Zeit des Einkaufens halte man es aus. "Wollen wir einen weiteren Lockdown riskieren?"

Ihr Friseur brauche aufgrund des 3G-Nachweises keine Maske mehr, auch wenn er ihr wenige Zentimeter entfernt in den Nacken atme. Wer im Supermarkt arbeite, komme nicht darum herum, sinniert eine Unternehmerin im Alsergrund. Sie selbst frage jeder dritte Kunde, wie es denn nun um die Tragepflicht bestellt sei. "Entweder FFP2 für alle oder für keinen. Aber so, wie es jetzt läuft, werden Vorschriften ad absurdum geführt." (Verena Kainrath, 15.9.2021)