Die niederösterreichische Thaya ist zunehmender Belastung ausgesetzt.

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Jungbunzlauer ist ein Betrieb, den man wohl gemeinhin als "Hidden Champion" bezeichnen würde. Kaum jemand weiß, dass die Niederlassung des Konzerns im nördlichen Weinviertel genug Zitronensäure produziert, um damit theoretisch halb Europa versorgen zu können. Noch weniger Menschen wissen, dass Jungbunzlauer täglich 40 Millionen Liter Abwasser in die Thaya leiten darf – das Fassungsvermögen von 1.000 Tanklastern. Und ganz verborgen blieb der Öffentlichkeit bisher, wie viel Chemikalien dabei letztlich im Fluss landen.

Denn die Bezirkshauptmannschaft Mistelbach und das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich legten diese Informationen nicht offen. Sie folgten damit der Argumentation des Chemieunternehmens, dass die Veröffentlichung der genauen Zusammensetzung des Abwassers Geschäftsgeheimnisse gefährden würde – und konnten sich dabei auf die geltende österreichische Rechtslage stützen. Der Verwaltungsgerichtshof sah das in letzter Instanz nun anders: Betriebsgeheimnisse dürfen keine Rechtfertigung dafür sein, Informationen über Umweltemissionen zu verschweigen. Das österreichische Umweltinformationsgesetz widerspreche den EU-Vorgaben (VwGH 6. 7. 2021, Ra 2020/07/0065).

Landwirt stellte Antrag

Ins Rollen gebracht hatte die Causa Robert Harmer, ein Großbauer, der unweit des Industriestandorts in Alt-Prerau einen Gutshof betreibt. Der Landwirt nutzt die Thaya zur Bewässerung seiner biologischen Landwirtschaft. Da sich der Betrieb flussabwärts der Produktion von Jungbunzlauer befindet, hat der Bauer ein besonders Interesse an der Zusammensetzung der Abwässer.

Bei der Produktion der Zitronensäure, die etwa zur Konservierung von Lebensmitteln verwendet wird, entstehen vor allem Salze. Laut Bescheid der Behörde dürfe das Unternehmen täglich 40 Tonnen Chlorid und 60 Tonnen Sulfate in die Thaya leiten, sagt Anwalt Wolfram Proksch, der den Landwirt vertritt. "Dass das Auswirkungen auf Fauna und Flora hat, kann man wohl kaum abstreiten." Eine zu hohe Salzkonzentration in Böden stört die Nährstoff- und Wasseraufnahme von Pflanzen. Eine damit einhergehende Bodenverdichtung erschwert zudem das Wachstum der Wurzeln.

Die Bezirkshauptmannschaft Mistelbach hatte die zulässigen Abwassermenge zuletzt 2016 erhöht und Grenzwerte für bestimmte Stoffe festgelegt – etwa für Kupfer, Chlorid oder Sulfat. Gleichzeitig verpflichtete sie Jungbunzlauer, das Abwasser jährlich zu messen und die Ergebnisse an die Behörde weiterzuleiten – Daten, an denen auch der Landwirt interessiert war: Er stellte auf Grundlage des Umweltinformationsgesetzes den Antrag, die Messergebnisse zu veröffentlichen.

"Geschäftsgeheimnisse"

Sowohl Jungbunzlauer als auch die Betreiberin der Kläranlage sprachen sich allerdings gegen die Veröffentlichung der Daten aus. Als Grund nannten sie "Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse". Denn: Aus den Mengen der gemessenen Stoffe ließen sich Rückschlüsse auf den geheimen Produktionsprozess ziehen. Die Bezirkshauptmannschaft folgte diesem Argument – und verweigerte die Auskunft. Gegen diese Entscheidung legte der Landwirt Beschwerde beim Landesverwaltungsgericht Niederösterreich ein, blieb aber zunächst erfolglos.

"Der Sachverständige, der vom Gericht als Gutachter bestellt wurde und das Vorliegen von Geschäftsgeheimnissen prüfte, war seinerzeit als Betriebsleiter bei Jungbunzlauer tätig und schrieb auch seine Doktorarbeit über das Unternehmen. Später wechselte er in die Wasserrechtsabteilung des Landes", sagt Anwalt Proksch. "Wir haben von Anfang an seine Befangenheit geltend gemacht. Das Gericht hat das allerdings anders gesehen."

Ein weiteres Rechtsmittel an den Verwaltungsgerichtshof hatte nun aber Erfolg. Das Höchstgericht gab dem Landwirt in letzter Instanz recht. Die Aarhus-Konvention sowie die zugrundliegende EU-Richtlinie gewähren ein Recht auf freien Zugang zu Umweltinformationen. Die Bekanntgabe dieser Daten müsse demnach der "Regelfall" sein. Die Behörden sind laut Verwaltungsgerichtshof dazu verpflichtet, einen möglichst umfassenden Zugang zu den Informationen zu ermöglichen. Zwar dürfen sie die Informationserteilung bei berechtigtem Interesse ablehnen, dies gelte jedoch nicht für Daten zu Umweltemissionen. Davon seien Messergebnisse von Abwässern zweifellos erfasst.

Gesetzgeber am Zug

Die Bestimmungen im Umweltinformationsgesetz sind laut Verwaltungsgerichtshof "unionsrechtskonform" auszulegen. Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse eines Industriebetriebs können der Veröffentlichung von Emissionen demnach nicht entgegenstehen. "Konzerne müssen jedenfalls Auskunft über Umweltemissionen erteilen, und zwar egal in welcher Form diese Daten vorliegen", sagt Proksch. "Und das gilt genauso für alle anderen Unternehmen." Der Gesetzgeber muss nun im Umweltinformationsgesetz nachbessern. Für Behörden wird es künftig also auch in anderen Fällen schwieriger werden, die Auskunft zu verweigern.

Ein zweites Verfahren ist laut Proksch derzeit noch anhängig. Bauer Harmer verlangte auch die Übermittlung eines Expertenberichts über die "stoffliche Belastung" der Thaya, der 2015 im Auftrag des Umweltministeriums erstellt worden war. Auch dieses Dokument blieb ihm – mit derselben Begründung – bisher größtenteils verborgen. (Jakob Pflügl, 16.9.2021)