Die österreichischen Universitäten sind seit Beginn der Pandemie quasi verwaist. Das Foto zeigt die WU Wien – und stammt selbst aus dem Oktober 2019, also vor der Pandemie.

Foto: Heribert Corn

Welche Folgen hatte das Auftauchen des Coronavirus für die Bildungssysteme der Industrienationen? Wie hat sich die Covid-Pandemie in den letzten eineinhalb Jahren auf Kindergärten, Schulen und Hochschulen weltweit ausgewirkt? Diese Fragen versucht die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in einem neuen Bericht unter dem Titel "The State of Global Education: 18 Months into the Pandemic", der am Donnerstag präsentiert wurde, zu beantworten.

Dazu wurden unterschiedliche bildungsstatistische Kennzahlen aus 37 OECD-Staaten und Partnerländern miteinander verglichen, um den Ländern Lernmöglichkeiten zu eröffnen. In einer Phase, in der in den meisten Ländern "nach der gravierendsten Erschütterung seit Jahrzehnten" der Betrieb in den Bildungseinrichtungen wieder nach und nach aufgenommen werde, "ist es an der Zeit, sich auf das zu freuen, was die neue Normalität sein könnte oder sollte", schreibt Andreas Schleicher, Leiter des OECD-Direktorats für Bildung, im Vorwort.

Besonders lang "Voll geschlossen"-Hochschulen

Gleich beim ersten Themenkomplex, der sich den Schul- bzw. Hochschulschließungen während der Pandemie widmet, fällt Österreich mit einem Wert ganz besonders auf. Insgesamt hatten am 1. Februar 2021 noch mehr als die Hälfte der dafür untersuchten 30 Staaten ihre Hochschulen laut OECD-Diktion "fully closed", also komplett geschlossen, am 20. Mai 2021 (bis dahin wurde analysiert) galt das nur noch in sechs Ländern, nämlich in Österreich , Kanada, Deutschland, Litauen, Mexiko und Polen.

Und da sticht Österreich heraus, Studierende werden nicht überrascht sein: In nur einem einzigen anderen OECD-Land, nämlich in Polen, waren die Hochschulen länger "fully closed" als hierzulande. Die österreichischen waren bzw. sind mittlerweile mehr als doppelt so lang im Distanzbetrieb wie der OECD-Schnitt.

In Österreich waren die Unis, die Fachhochschulen und die Pädagogischen Pädagogischen Hochschulen im ersten Pandemiejahr 2020 (ab 1. Jänner) 154 Tage zu, im aktuellen Jahr bis 20. Mai weitere 68, insgesamt die Studierenden hierzulande also bis jetzt pandemiebedingt 222 Tage von daheim aus studieren.

Die polnischen Studierenden sind seit insgesamt 263 Tagen von den Unis ausgesperrt (179 im Vorjahr, 84 bis Mai 2021). Im OECD-Schnitt waren dagegen die Hochschulen "nur" an 103 Tagen komplett geschlossen, davon 70 im Vorjahr, 33 kamen bis 20. Mai 2021 dazu.

Bildungsministerium kritisiert "Schwarz-Weiß-Statistik"

Allerdings, darauf weist die OECD in ihrem Report hin, gab es vom Konzept der Totalsperre auch Ausnahmen. In Deutschland waren etwa Laborübungen, Anfängerkurse oder auch Klausuren in Hybridformaten oder auch Präsenzveranstaltungen möglich. Polen erlaubte für praktische Übungen Vor-Ort-Unterricht an den Unis und auch in Österreich waren persönliche Treffen für Übungen oder Prüfungen sehr wohl möglich.

Das wurde am Donnerstag auch im Bildungsministerium betont, wo man mit der statistischen Darstellung der Situation durch die OECD nicht glücklich ist. Hochschulsektionschef Elmar Pichl sprach im STANDARD-Gespräch von einer "Schwarz-Weiß-Statistik, die die universitäre Realität in der Pandemie nicht abbildet. Österreichs Hochschulen waren eben nicht zu. Natürlich waren Kapazitäten, wenn auch corona-bedingt eingeschränkt, nutzbar. Wir haben die Hochschulen nicht geschlossen gehabt. Nicht substituierbare Lehrveranstaltungen, ob an den Med-Unis oder im Kunstbereich, waren selbstverständlich vor Ort und in Präsenz möglich. Das war wie in Schweden. Darauf haben wir bei der Erstellung des Reports auch mehrfach hingewiesen." Schweden wird im OECD-Report unter jenen Ländern aufgeführt, deren Tertiärbereich ab 20. Mai 2021 "partially open", also teilweise offen, waren.

Uniko weist "Legende von der geschlossenen Uni" zurück

Auch die Universitätenkonferenz (Uniko) wies die statistische Verortung der österreichischen Universitäten in der Pandemie in die Gruppe der "fully closed"-Bildungseinrichtungen am Donnerstagabend nachdrücklich zurück. Uniko-Präsidentin und TU-Wien-Rektorin Sabine Seidler betonte, dass die Unis zu keinem Zeitpunkt komplett geschlossen gewesen seien: "Natürlich wurde an den Universitäten auch während der Pandemie weitergeforscht und gelehrt – wenn auch unter schwierigen Rahmenbedingungen. Viele Formate wie Labors, Kunstunterricht, kleinere Lehrveranstaltungen sowie Prüfungen fanden während der gesamten Zeit vor Ort statt. An manchen Unis wurde sogar bis zu 90 Prozent der Lehre in Präsenz abgehalten. Wo das nicht möglich war, hat Lehre im Distanzmodus stattgefunden. Die Legende von der geschlossenen Universität stimmt einfach nicht", sagte die Uniko-Präsidentin.

Seidler verwies auf die Erfolgsdaten der Unis, die trotz oder zumindest während der Pandemie erzielt worden seien: Demnach stieg die Prüfungsaktivität zwischen Ende Mai 2020 und Ende Mai 2021 um 12,5 Prozent. Auch die Zahl der Studienabschlüsse konnte im Studienjahr 2019/20, das bereits von der Pandemie berührt war, um 3,5 Prozent gesteigert werden.

Israel und Japan hatten null universitäre Sperrtage

Dass es auch anders geht, dass auch während der Pandemie die Hochschulen nicht komplett auf den Distanzbetrieb als Regelbetrieb umgestellt werden müssen, exerzierten hingegen Israel und Japan mit null Sperrtagen in den beiden Pandemiejahren vor.

Wieder andere Länder hatten zwar im ersten Jahr mit dem Coronavirus Sperrtage im Tertiärbereich, 2021 kamen sie im Vergleichszeitraum bis 20. Mai jedoch ohne universitäre Totalsperren aus: Dazu gehören Frankreich, Belgien, Kolumbien, Neuseeland, Spanien und Schweden. Sie wechselten auf teilweise geöffnete Universitäten. Belgien hatte nach 34 Totalschließtagen 2020 wieder durchgehend offene Universitäten, das Land kam auch ohne "partially open"-Tage aus. Israel setzte durchgehend auf teilweise offene Universitäten, 2020 an 100 Tagen, in den ersten fünf Monaten des Jahres 2021 an zehn Tagen. Der OECD-Schnitt liegt bei 29 "Partially open"-Tagen an den Unis im Jahr 2020 bzw. 26 in den ersten fünf Monaten des Jahres 2021.

Durchgehend offene Kindergärten

Zur konsequenten Offenhalten-Fraktion gehört Österreich dagegen im Vorschulbereich. Die Kindergärten wurden hier seit Beginn der Pandemie nie total geschlossen. Für die Volksschulen weist der OECD-Report für Österreich dagegen 74 Sperrtage aus, für die Unterstufe (Sekundarstufe 1) 74 und die Oberstufe (Sekundarstufe 2) 105 Tage mit Homeschooling. Der OECD-Schnitt liegt für elementarpädagogische Einrichtungen bei 55 pandemiebedingten Schließtagen, für Volksschulen bei 78, Unterstufenklassen wurden im Schnitt 92 Tage nach Hause geschickt, Oberstufen 101 Tage.

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Mehr Echtzeitunterricht in der Schule (Stichwort Schichtbetrieb mit reduzierter Personenzahl in den Klassen) als die Gleichaltrigen in anderen OECD-Ländern bekamen die österreichischen Oberstufenschülerinnen und -schüler. Mit 84 Schultagen unter Corona-adaptierten Rahmenbedingungen (28 im Jahr 2020, 56 bis Mai 2021) liegen sie deutlich über dem OECD-Schnitt von 57 Anwesenheitstagen (2020: 27 Tage, 2021: 30 Tage).

Insgesamt häuften die Schülerinnen und Schüler in den Oberstufen laut OECD in Österreich im Verlauf der Pandemie bis jetzt 189 Tage an, an denen die Schule entweder ganz oder teilweise geschlossen war.

Große Spannweite bei Schulsperrtagen

Der internationale OECD-Vergleich zeigt eine große Spannweite an verlorenen "echten" Schultagen in den Oberstufen, weil die Schule ganz oder teilweise geschlossen war: Sie reicht von mehr als 200 Tagen in Kolumbien, Costa Rica, Tschechien, Litauen, Mexiko, Polen und der Türkei zwischen Jänner 2020 und Mai 2021 bis zu weniger als 50 Schließtagen in Norwegen, Neuseeland oder Spanien.

Generell gibt es bei Schulsperren national extrem unterschiedliche Handhabungen. Schweden hat etwa alle Grund- und die meisten Sekundarstufe-1-Schulen seit Beginn der Pandemie konsequent offengehalten, die Oberstufen waren 80 Tage geschlossen. Die jeweilige Zahl der Schulsperrtage scheine außerdem nichts mit den Covid-Infektionsraten in dem jeweiligen Land zu tun gehabt zu haben, schreiben die OECD-Autorinnen und -Autoren.

So haben zum Beispiel Belgien, Frankreich, Spanien und die Schweiz ihre Oberstufenschulen zwischen Jänner und Mai 2021 nicht komplett geschlossen (oder nur für ein paar Tage), obwohl es in diesen Ländern in diesem Zeitraum viele Covid-Fälle gegeben habe. Im Gegensatz dazu haben Dänemark, Deutschland und Mexiko trotz niedrigerer Infektionsraten ihre Oberstufen im Jahr 2021 mehr als 60 Tage zugesperrt.

Wer bei Pisa schlecht performt hat, hat die Schulen länger zugesperrt

Es zeigt sich übrigens ein interessanter Zusammenhang: Jene Länder, die bei internationalen Bildungsvergleichen wie der Pisa-Studie am schlechtesten abschneiden, haben in der Pandemie ihre Schulen eher für längere Perioden komplett zugesperrt. So waren zum Beispiel am 20. Mai 2021 nur noch in Mexiko und in der Türkei alle Grundschulen sowie die Sekundarstufe 1 und 2 komplett geschlossen, in Mexiko auch die Kindergärten.

Laut OECD-Bericht haben viele Länder zusätzliche Anstrengungen unternommen, um den Schülerinnen und Schülern den Zugang zu qualitätsvoller Bildung unter möglichst sicheren Rahmenbedingungen zu ermöglichen. Demnach haben zwei Drittel der OECD- und ihrer Partnerländer die Finanzierung des Primär- und Sekundarbereichs aufgestockt, um besser mit der Krise fertigzuwerden. Nicht so Österreich. Verglichen mit 2019 habe Österreich für 2020 keine Veränderung des Bildungsbudgets für Volksschulen und den Unterstufenbereich gemeldet.

Impfpriorität für Lehrerinnen und Lehrer

Dafür war Österreich eines jener 19 Länder, die für den Covid-Report untersucht wurden, die die Lehrerinnen und Lehrer bei den nationalen Covid-Impfprogrammen priorisiert haben.

Die Folgen der Pandemie für die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt zeigen in Österreich eine etwas verschärfte Lage als im OECD-Schnitt. So stieg die Arbeitslosenrate in der Gruppe der 25- bis 34-Jährigen ohne Schulabschluss in der Sekundarstufe 2 um fünf Prozentpunkte auf 20 Prozent im Jahr 2020. Im OECD-Schnitt betrug die Arbeitslosenrate 2020 in dieser Altersgruppe 15,1, um zwei Prozentpunkte mehr als im Jahr 2019.

Die Gruppe der sogenannten "NEETs", jener jungen Menschen zwischen 18 und 24, die "not in Education, Employment or Training", auch nicht in Ausbildung, Arbeit oder Schulung sind, ist jedoch trotz Pandemie schnell unverändert geblieben. Im OECD-Schnitt stieg ihr Anteil von 14,4 Prozent 2019 auf 16,1 Prozent im Vorjahr, in Österreich von 11,4 auf 11,9 Prozent. (Lisa Nimmervoll, 16.9.2021)

Update um 17:25 Uhr: Reaktion der Universitätenkonferenz (Uniko) eingefügt