Eine Million Menschen aus der Mitte der Gesellschaft sei seit der Pandemie in die Schuldenspirale geraten, schätzt die SPÖ.

Foto: Imago

Schulden sind ein Problem, dass sich in der Regel rasch auswächst. Nichtbezahlte Verbindlichkeiten verdreifachen sich laut Erhebung des Dachverbands der Schuldnerberatung (asb) in der Regel binnen acht Jahren. "Liegt die Durchschnittsverschuldung unserer Klienten bei 60.000 Euro, haben die Menschen nicht 60.000 Euro Schulden gemacht, sondern 20.000", beschreibt asb-Geschäftsführer Clemens Mitterlehner bei einem von der SPÖ einberufenen Pressetermin in Wien die Dynamik. Wie viele Menschen hierzulande überschuldet – im Unterschied zu verschuldet – seien, wisse man nicht, sagt Mitterlehner. Er schätzt, dass es sich "vermutlich um ein paar Hunderttausend" handelt. Die letzte entsprechende Erhebung der Statistik Austria stamme aus dem Jahr 2013.

Abwärtsspirale

Christian Drobits sieht in der Sache jedenfalls Feuer am Dach. "Die Covid-Pandemie hat viele Haushalte in eine Situation gebracht, wo sie in eine Schuldenspirale gekommen sind", sagt der SPÖ-Konsumentensprecher. Er hat dafür auch Beispiele parat: Menschen, die durch die Pandemie arbeitslos oder krank geworden seien und die – nach der Covid-bedingten Stundung von Krediten – nun Probleme hätten, diese zu bedienen. Alleinerziehende, die in ähnlicher Lage mit den Kosten für den Schulstart überfordert seien.

Eine Million Menschen aus der Mitte der Gesellschaft sei seit der Pandemie in diese Schuldenspirale geraten, sagt Drobits und warnt vor einer Pleitewelle bei Privatpersonen. Er fordert von der türkis-grünen Regierung einmal mehr einen Schuldnerschutzschirm, der eine ganze Reihe von Maßnahmen umfassen soll. Unter anderem listet Drobits einen Zinsen- und Spesenstopp bei gestundeten Krediten, Corona-Zinssatz für Kontoüberziehung, Begrenzung der Inkassokosten und Anpassung der Verbraucherkredit-Richtlinie (VKrRL) und des Verbraucherkreditgesetzes (VKrG) auf.

Handlungsbedarf

Der im April im Nationalrat eingebrachte Entschließungsantrag für ein Schuldnerschutzschirm-Gesamtpaket mit zehn Maßnahmen wurde laut Drobits im Mai im Ausschuss für Konsumentenschutz von ÖVP, Grünen und Neos abgelehnt. Er will die Maßnahmen nun als Einzelanträge einbringen.

Auch Mitterlehner sieht Handlungsbedarf. Zuallererst hinsichtlich einer validen Datenbasis. "Es werden Gesetzesnovellen beschlossen, ohne dass wir wissen, ob sie auch die gewünschte Wirkung erzielen", sagt Mitterlehner auch im Hinblick auf die jüngste Reform der Insolvenzordnung. Wie diese wirke, könne man gar nicht faktenbasiert analysieren. "Momentan sind wir im Blindflug unterwegs und mit ein bisschen Bauchgefühl."

Ausufernde Kosten

In den Kosten ortet der Experte der überparteilichen Schuldnerberatungen einen weiteren wichtigen Punkt. Die derzeitige Rechtslage führe dazu, dass mit "horrenden Zinsen und ausufernden Kosten Überschuldung produziert wird." Alle Maßnahmen, die dem entgegenwirkten, seien zu begrüßen.

Ein wichtiger Faktor in der Schuldenspirale: die Inkassokosten. Derzeit gibt es Gespräche im Wirtschaftsministerium mit der Sparte in der Wirtschaftskammer – um etwa Höchstgrenzen festzulegen. In Deutschland dürfe eine Forderung von 500 Euro Höhe mit maximal 140 Euro Kosten belastet sein, so Mitterlehner. Der Vorschlag der Sparte sei davon aber "ganz ganz weit weg."

Einen "zeitverzögerten" Corona-bedingten Anstieg der Privatpleiten erwartet auch er. (Regina Bruckner, 16.9.2021)