Es gibt wenig, was derzeit mehr die Gemüter erhitzt als die niedrige Durchimpfungsrate im Kampf gegen die Corona-Pandemie. Nur 59 Prozent der österreichischen Bevölkerungen haben bisher die Vollimmunisierung erhalten, das ist unterhalb des EU-Durchschnitts und laut dem Corona-Prognosekonsortium deutlich unter dem angenommenen Worst-Case-Szenario.

Während die österreichische Bundesregierung vor dem Hintergrund steigender Fallzahlen und starker Zuwächse in den Intensivstationen vorerst nur sehr moderate Verschärfungen beschließt (FFP2-Masken-Pflicht, verringerte Gültigkeitsdauer von Tests), wird der Ruf nach strengeren Maßnahmen für Impfskeptiker und -verweigerer lauter. Sogar von einem höheren Selbstbehalt im Krankheitsfall war schon die Rede. Ist das die einzige Chance, eine höhere Impfquote zu erreichen, weil man es bisher offenkundig verabsäumt hat, denjenigen, die sich bezüglich einer Impfung unsicher sind, die Zweifel zu nehmen?

Ein spezieller Impfaufruf vor einem geschlossenen Geschäft. Ob er etwas bewirkt?
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Manfred Tscheligi verneint. Der Experte in Mensch-Maschine-Interaktion sagt, dass man noch reichlich Möglichkeiten hätte, die Jugend in Österreich für eine Immunisierung zu gewinnen. Als Professor für Human Computer Interaction an der Universität Salzburg und als Head of Technology Experience des Austrian Institute of Technology (AIT) ist er davon überzeugt, dass man Menschen mit Affinität zum Smartphone, also vor allem Zwölf- bis 30-Jährige, durch verschiedenste Techniken erreichen und möglicherweise sogar zur Impfung bringen könnte. Das sogenannte Nudging wäre eine Methode seiner Wahl, sie kommt aus der Verhaltensökonomie.

Anschubsen via Instagram

Für Tscheligi ist das nichts anderes als ein dezentes "Anschubsen". Das Ziel: Man bringt Skeptikerinnen und Skeptiker, die falsche Quellen lesen, dazu, sich überhaupt einmal ernsthaft mit dem Thema Impfen zu beschäftigen – vorzugsweise werden sie durch positiv besetzte Bilder in Social-Media-Kanälen wie Instagram dazu gebracht. Eine andere Möglichkeit wäre aus Tscheligis Sicht Gamification, also Lernspiele zum Thema Corona und Impfung. Wer sie erfolgreich absolviert, erhält irgendeine Form von Bonus.

Wenn dabei kein belehrender Unterton einsetzt, könnte man aus Tscheligis Sicht sogar Erfolg haben. Die Politikwissenschafterin Barbara Prainsack von der Uni Wien hält viel von derlei "unkomplizierten Versuchen, die Zielgruppe zu erreichen" – man könne dadurch kaum Schaden verursachen.

Ganz im Gegenteil zu monetären Anreizsystemen: Wer Geldgeschenke verspricht, um die Impfquote zu erhöhen, muss mit Folgekosten rechnen, sagt Prainsack. Bei der notwendigen Auffrischung könnte dann Volkes Stimme verlauten: Wir warten damit, bis wir wieder Geld bekommen! Möglicherweise würde das auch skeptische Menschen abhalten, sich das Vakzin abzuholen. Prainsack: "Sie sagen dann vielleicht: Mit der Impfung kann etwas nicht stimmen, wenn sie uns dafür Geld geben."

Misstrauen erweckt

Monetäre Geschenke wecken Misstrauen. Die Wissenschafterin verweist auf die legendäre Studie des Ökonomen Richard Titmuss, The Gift Relationship, die 1970 gezeigt hat, dass Menschen eher bereit sind, Blut zu spenden, wenn sie dafür nicht bezahlt werden. Viel besser als Geld oder ein Auto, wie derzeit im Burgenland, seien symbolische Geschenke für die frisch Geimpften. "Warum nicht Würstchen mit Senf verteilen?", sagt Prainsack.

Tscheligi befürwortet auch Testimonials, Menschen, mit denen sich unterschiedliche Gruppen identifizieren könnten. Community-Influencer also, die ernst genommen werden und die Vorteile des Impfens näherbringen: in Clubs, im Stammlokal, auf dem Fußballplatz, in Social-Media-Kanälen. Er gibt aber zu bedenken: Je berühmter sie auch außerhalb der Community sind, desto unglaubwürdiger könnte ihr Auftritt sein. Schauspielern etwa nimmt man nicht ab, dass sie die persönliche Lebenswelt der Impfskeptiker kennen.

Transparente Entscheidung

Derlei könne aber vermutlich nur wirken, wenn Politiker mit klarer, transparenter Kommunikation beispielgebend sind: Für Prainsack fehlt das in Österreich nach 1,5 Jahren Pandemie noch immer. In Dänemark hat man durch vertrauensbildende Maßnahmen eine vergleichsweise hohe Impfquote von 75 Prozent erreicht – der Impfstoff von Astra Zeneca wurde aus dem Verkehr gezogen, nachdem über vereinzelte schwere Fälle einer seltenen Kombination aus Blutgerinnseln, Blutungen und niedrigen Blutplättchenzahlen nach der Impfung berichtet wurde. Hierzulande habe man Risiken der Impfung weggeredet, statt die diesbezüglichen Sorgen der Bevölkerung wirklich erst zu nehmen.

Für viele Impfskeptiker ist vor allem die Schnelligkeit der Vakzinentwicklung ein zentraler Grund ihrer Zweifel, weiß Prainsack, die eine große Studie von europäischen Forschungseinrichtungen über derartige Fragen leitet. Man habe "Abkürzungen bei der Bewilligung des Impfstoffs genommen", heißt es von vielen Seiten, obwohl dieser Vorwurf schon häufig entkräftet wurde.

Schnell heißt ja im Falle einer Bewilligung nicht sorglos, sagte auch der Mitbegründer des deutschen Pharmaunternehmens Biontech, der Tiroler Christoph Huber, im Rahmen der Alpbacher Technologiegespräche. Und berichtete von 25 Jahren Grundlagenforschung, ehe die erste mRNA-Impfung gegen Corona gemeinsam mit Pfizer überhaupt in die Entwicklung gehen konnte. Und erst danach konnte das zwar beschleunigte, aber korrekte Zulassungsverfahren beginnen. Ein Triumph der Wissenschaft, den man jetzt nur noch den Zweiflern als solchen vermitteln muss. (Peter Illetschko, 20.9.2021)