Ungeimpfte sind die Treiber der Covid-Pandemie. Selbst in Bevölkerungsgruppen mit hoher Impfrate befeuern sie das Infektionsgeschehen. Dabei ist der Schutz vor schweren Erkrankungen jedes Einzelnen das Hauptziel der Impfung.

Foto: imago images/MiS

Einige Länder verabreichen bereits die dritte Impfung. In anderen wird die Auffrischung für Risikogruppen noch diskutiert. Eine aktuelle Studie kommt nun zu dem Ergebnis, dass im Kampf gegen die Pandemie eine Auffrischungsimpfung der Gesamtbevölkerung noch nicht sinnvoll ist.

Die Diskussion rund um Booster-Impfungen hängt eng mit der Frage nach einer weltweit gerechten Impfstoffverteilung zusammen. Denn bislang sind (Stand September) lediglich 30 Prozent der Weltbevölkerung doppelt geimpft. Weitere zwölf Prozent haben eine erste Impfung erhalten. Die Impfungen sind allerdings ungleich verteilt: Während in der EU 60 Prozent der Menschen einen vollen Impfschutz haben, sind auf dem afrikanischen Kontinent gerade einmal 3,4 Prozent der Menschen bisher zweifach geimpft.

Ausreichend wirksam

Die Ergebnisse der Studie wurden aktuell in der Fachzeitschrift "The Lancet" veröffentlicht. Sie umfasst alle verfügbaren Erkenntnisse aus randomisierten Studien und Beobachtungsstudien, die in Fachzeitschriften und Pre-Prints veröffentlicht und unter Beteiligung einer internationalen Gruppe von Wissenschafterinnen und Wissenschaftern verschiedener Forschungseinrichtungen durchgeführt wurden – darunter die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die US-Arzneimittelbehörde FDA.

Das Fazit: Die Wirksamkeit der verfügbaren Impfstoffe ist so hoch, dass "Auffrischungsimpfungen für den Großteil der Menschen nicht angebracht sind" – zumindest nicht in diesem Stadium der Pandemie. Denn im Detail zeigt sich, dass die Impfstoffe hochwirksam gegen schwere Erkrankungen schützen – das gilt auch für die neuen Virusvarianten.

Sowohl bei der Delta- als auch bei der Alpha-Variante ergeben Beobachtungsstudien eine durchschnittliche Wirksamkeit von 95 Prozent gegen schwere Erkrankungen. Und auch bei leichten Verläufen liegt der Schutz immer noch bei 80 Prozent. "Insgesamt liefern die derzeit verfügbaren Studien keine glaubwürdigen Belege dafür, dass der Schutz der Impfung vor einer schweren Erkrankung substanziell abnimmt", sagt die Hauptautorin, WHO-Expertin Ana Maria Henao-Restrepo.

Langfristige Immunantwort

Der Schutz vor einer schweren Erkrankung sei aber das Hauptziel einer Impfung. Und selbst wenn der Antikörperspiegel Geimpfter im Laufe der Zeit abnimmt, bedeutet dies nicht zwangsläufig eine Verringerung der Wirksamkeit gegen schwere Erkrankungen. Denn der Schutz vor einem schweren Verlauf wird nicht nur durch Antikörperreaktionen vermittelt, die bei einigen Impfstoffen nur für eine relativ kurze Zeit vorhanden sein können. Auch zellvermittelte Immunität, die im Allgemeinen länger anhält, trägt zum Schutz bei.

Wie zuverlässig die Wirkung der Impfstoffe gegen neue Varianten sein wird, lässt sich aber nicht abschließend beantworten. Derzeit rufen die Impfstoffe eine Antikörperreaktion gegen alle bekannten Varianten hervor. Was bedeutet, dass das Virus der Wirkung der Impfstoffe noch nicht entkommt – auch Immun-Escape genannt.

Sollten sich aber Varianten entwickeln, die Resistenzen aufweisen, könnten Auffrischungsimpfungen mit speziell gegen neue Varianten entwickelten Vakzinen vorgenommen werden. Deren Wirksamkeit wäre höher und von längerer Dauer, heißt es in der Studie. Eine ähnliche Strategie wird etwa bei Grippeimpfstoffen angewandt.

Weltweite Verteilung

Nun sei es aber besonders wichtig, die Vakzine für die Erstimpfung "klug zu verteilen": "Der begrenzte Vorrat an diesen Impfstoffen wird die meisten Leben retten, wenn er Menschen zur Verfügung gestellt wird, die ein nennenswertes Risiko für eine schwere Erkrankung haben und noch keinen Impfstoff erhalten haben." Setzt man Impfstoffe dort ein, wo sie den größten Nutzen bringen, könnte das Ende der Pandemie beschleunigt werden, so die Expertin der WHO.

Das bedeutet allerdings nicht, dass Auffrischungsimpfungen grundsätzlich überflüssig sind. An sich stimulieren sie das Immunsystem neu und verbessern so die Immunantwort. Aus Sicht der Forscherinnen und Forscher übertrifft der Nutzen einer Auffrischung derzeit aber nicht die Vorteile eines Schutzes für eine bislang gänzlich ungeimpfte Person. Für besonders exponierte Berufsgruppen, etwa medizinisches Personal, seien Auffrischungsimpfungen durchaus sinnvoll. Aber nicht generell für alle.

"Der Gedanke, die Zahl der Covid-19-Fälle durch eine Verstärkung der Immunität bei Geimpften weiter zu verringern, ist zwar verlockend, doch sollte jede Entscheidung in diese Richtung evidenzbasiert sein und die Vorteile und Risiken für den Einzelnen und die Gesellschaft berücksichtigen", sagt die leitende Wissenschafterin der WHO und Mitautorin der Studie, Soumya Swaminathan. "Diese Entscheidungen, bei denen es um viel Geld geht, sollten auf soliden Fakten und einer internationalen wissenschaftlichen Diskussion beruhen." (Julia Palmai, 17.9.2021)