Georg Platzer, Lehrender an einer AHS in Niederösterreich, fordert in seinem Gastkommentar eine evidenzbasierte Debatte darüber ein, was man sich von einer Digitalisierung der Klassenzimmer erhoffen darf. Lesen Sie dazu auch den Gastkommentar von Helmut Bittermann und Georg Cavallar, die hinter einer schönen Fassade der "digitalen Schule" noch Baustellen sehen.

Das neue Schuljahr bringt eine bemerkenswerte Neuerung an Österreichs Bildungsstätten: Fortan halten Laptops und Tablets Einzug in die Klassenzimmer des Landes. In einem ersten Schritt betrifft dies die fünften und sechsten Schulstufen, längerfristig sollen auch weitere Jahrgänge mit elektronischen Endgeräten ausgestattet werden. Neben der Einführung des Gratisschulbuchs – so die Reformtreiber – sei dies eine der größten und vielversprechendsten Veränderungen, die an den heimischen Schulen jemals angestrengt wurden. Die mit den Reformplänen verbundenen Hoffnungen sind jedenfalls vielversprechend: Das Lernen ließe sich unter dem Einsatz elektronischer Medien freudvoller, nachhaltiger und transparenter arrangieren, die Lernenden würden dabei in ihrer Lebenswelt abgeholt, und obendrein wären sie Verfügende über nahezu unbegrenzte Wissensbestände.

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Dass Computer ihren Platz in den Schulen haben, zweifelt niemand an. Umstritten ist aber, ob der Weg den das Bildungsministerium eingeschlagen hat, sinnvoll ist.
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Die digitale Schule – so verspricht es der Webauftritt des Bundesministeriums – sei "die harmonische Kombination von moderner, digitaler Infrastruktur und inspirierender, zukunftsweisender Pädagogik". Doch all die Superlative, die sich verbal um die Digitaloffensive ranken, lassen eines allzu schnell aus dem Blick geraten: die Frage nach der Evidenz für das Behauptete.

Gerade in Zeiten von Corona sind wir es gewohnt, diskutierte oder geplante Maßnahmen kritisch im Hinblick auf ihren Nutzen zu hinterfragen. Das betrifft im Kontext der Pandemie etwa die Frage nach der Wirkung von Impfungen oder die, welche Auswirkungen Lockdowns auf Inzidenz- und Ansteckungszahlen haben. Eine solche Orientierung an der Evidenz gebietet nicht nur die Vernunft, sondern schafft überhaupt erst die Grundlage für den gesellschaftlichen Entscheidungsdiskurs.

In Bildungsfragen aber, vor allem im Zusammenhang mit technologiebasierten Reformen fehlt ein solcher Zugang häufig. Hier bestimmen vorrangig wohlklingende Verheißungen den thematischen Raum – ohne direkte Anbindung an entsprechende faktische Grundlagen. Es scheint fast, als wäre der Begriff der Digitalisierung über jeden gedachten Zweifel erhaben. Gerade deshalb muss die Frage erlaubt sein, wie es um den Kenntnisstand der Forschung rund um das digitale Lernen steht.

Gesicherte Daten

Mittlerweile gibt es gesicherte Daten bezüglich der Frage, welche Wirkung die Ausstattung von Klassen mit Laptop und Co tatsächlich erwarten lässt. Für einen recht groben Eindruck genügt schon der Blick auf Studien, die sich mit den Fundamenten des digitalen Lernens befassen. Allen voran etwa eine Untersuchung der OECD, die im Zusammenhang mit der Pisa-Testung steht. Dort wurde gezeigt, dass im Beobachtungszeitraum (neun Jahre) ein Zusammenhang zwischen Investitionen in digitalisierten Unterricht und der schulischen Leistung im Fach Mathematik besteht. Das Ergebnis: Je größer die Ausgaben, desto mehr nehmen die fachspezifischen Leistungen ab.

Auch ist seit längerem bekannt, dass das klassische Mitschreiben unter Verwendung von Papier und Stift messbar bessere Lernleistungen bringt als das Führen einer digitalen Mitschrift. Nicht anders verhält es sich beim Lesen: Über Papier aufgenommene Texte werden von Lesenden besser verstanden und memoriert als solche, die aus E-Books stammen. Nicht zuletzt zeigte eine US-amerikanische Studie, dass in den dort untersuchten digital geführten Klassen ein Drittel der Unterrichtszeit von den Lernenden für das Surfen im Internet beziehungsweise dem Verweilen in sozialen Netzwerken genutzt wird.

Fehlende Evidenz

Keine Missverständnisse: Aus den Daten (vor allem dem kleinen hier dargebrachten Auszug) den Schluss zu ziehen, dass Computer keinen Platz in den Schulen haben sollten, wäre falsch. Wohl aber lässt sich ein anderer Schluss gesichert ziehen: Es braucht endlich eine evidenzbasierte Debatte darüber, was sich von der Digitalisierung der Klassenzimmer erwarten lässt. Eine Debatte, die fernab von digital-romantischen Versprechungen und Wunschvorstellungen geführt wird und den Fokus auf die Zielsetzung aller schulischen Bemühungen richtet: gut lernen! (Georg Platzer, 16.9.2021)