Für die Ankläger ist der Fall klar: Der frühere Volkswagen-Chef Martin Winterkorn ist mitverantwortlich für die Abgasmanipulation von Millionen Dieselautos. Nicht nur leitende Ingenieure und Mitglieder des mittleren Managements, sondern auch der frühere Vorstandsvorsitzende habe deutlich vor Einräumen des Betrugs gegenüber den US-Behörden von der Täuschungsstrategie gewusst, sagte eine Staatsanwältin zu Beginn des Prozesses vor dem Landgericht Braunschweig. Angeklagt sind neben Winterkorn vier ehemalige Führungskräfte des Autobauers.

Der Ansturm in der Stadthalle Braunschweig blieb am Donnerstag aus.
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Winterkorn war zwar nicht anwesend – sein Verfahren wurde wegen gesundheitlicher Probleme vertagt –, er stand aber im Mittelpunkt. In der Verlesung der Anklage untermauerte und konkretisierte die Staatsanwaltschaft ihre Vorwürfe. Winterkorn habe im Wege von einer Notiz eines Vertrauten in seiner "Wochenendpost" relativ frühzeitig erfahren, dass Dieselautos in den USA bereits 2014 bei Tests in Kalifornien die Stickoxidgrenzwerte um das 15- bis 35-Fache überschritten hatten. Er soll dies zur Kenntnis genommen haben, die Weiterverwendung der Betrugssoftware habe er aber nicht stoppen lassen. "Er entschied sich gegen eine Offenlegung und hoffte, die Rechtsverstöße weiter verschweigen zu können", so die Staatsanwaltschaft.

Am Schadenstisch

Spätestens am sogenannten Schadenstisch, einer Besprechung Ende Juli 2015, sei das "defeat device", also die Motorsteuerungssoftware, die die volle Abgasregelung auf Prüfstandtests reduzierte und im normalen Fahrbetrieb abschaltete, offen thematisiert worden. Winterkorn habe seinen Vertrauten zur Vorbereitung angerufen. Der hohe Mitarbeiter habe ihm gegenüber dabei erklärt: "Wir haben beschissen." In der Sitzung sei es bereits um drohende Strafzahlungen für rund 500.000 manipulierte Diesel-Pkws in den USA gegangen. Doch der "befürchtete Wutausbruch" Winterkorn, sei ausgeblieben, und man sei einig darüber gewesen, die illegale Abschaltfunktion gegenüber der kalifornischen Umweltbehörde Carb weiterhin zu verschweigen. Diesen Umstand habe ein ebenfalls angeklagter ranghoher Entwickler laut Staatsanwaltschaft so quittiert: "Shit, voll schiefgelaufen."

Im Dieselskandal wird nur vier Managern und Ingenieuren der Prozess gemacht, nicht aber Ex-Volkswagen-Chef Martin Winterkorn.
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Den fünf Angeklagten wird gewerbs- und bandenmäßiger Betrug vorgeworfen, im Fall einer Verurteilung drohen Freiheitsstrafen von wenigstens sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Hinzu kommen Delikte wie Steuerhinterziehung, strafbare Werbung sowie Beihilfe. Volkswagen kosteten die (rechtlichen) Folgen mehr als 32 Milliarden Euro.

Für ausreichend Stoff ist gesorgt, geplant hat der vorsitzende Richter Christian Schütz 133 Verhandlungstage bis in den Sommer 2023.

Im Gegensatz zu den Abschalteinrichtungen in den Volkswagenmotoren EA189 und EA288, die von Kraftfahrt-Bundesamt und Bundesgerichtshof (BGH) als unzulässig eingestuft wurden, geht das Höchstgericht in Karlsruhe mit Daimler nicht so hart ins Gericht. Die als Thermofenster bezeichnete Abschalteinrichtung bei Mercedes stelle keine sittenwidrige Schädigung der Autokäufer dar, erklärte der vorsitzende Richter Rüdiger Pamp in mündlicher Verhandlung. Für eine Täuschungsabsicht brauche es weitere Indizien. Nun sind wieder die Oberlandesgerichte Köln und Koblenz am Wort. (Reuters, dpa, ung, 16.9.2021)