Der Medienandrang beim ersten Prozess in der Causa Ischgl war groß. An die 60 Journalistinnen und Journalisten hatten sich im Vorfeld akkreditiert, viele aus dem Ausland.

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Es gibt wohl kein anderes Gesetz, das in den vergangenen zwei Jahren mit einer derartigen Wucht aus seinem Dornröschenschlaf geweckt wurde wie das Epidemiegesetz aus dem Jahr 1950. Als die Corona-Pandemie im März 2020 das Tiroler Paznauntal unübersehbar erreichte, reagierten die Behörden – für manche – mutmaßlich zu spät. Einer von ihnen war Johannes Schopf. Er soll sich während seines Skiurlaubs in Ischgl mit dem damals neuartigen Coronavirus infiziert haben. Faktum ist, dass Schopf an den Folgen seiner Erkrankung verstarb. Ob er sich aber in Ischgl ansteckte, und wenn ja, ob die Behörden diese Ansteckung hätten verhindern müssen, ist Gegenstand des ersten Zivilprozesses in der Causa Ischgl. Dieser startete am Freitag im Wiener Justizpalast am Landesgericht für Zivilrechtssachen – und endete nach dreieinhalb Stunden auch schon wieder.

Die Fronten zwischen den Hinterbliebenen des Klägers und der Republik Österreich schienen verhärtet – Vergleichsverhandlungen wurden von den Republiksvertretern abgelehnt. Für den Sohn von Schopf, der als Kläger auftritt, ist dies unverständlich: "Uns geht es um Gerechtigkeit", sagt er zum STANDARD. Sollte er Schadenersatzzahlungen erhalten, will er diese im Sinne seines Vaters spenden. Schopf fordert rund 100.000 Euro an Ersatz für Schmerzengeld, Trauerschäden und Begräbniskosten.

Schutzpflicht des Einzelnen?

Für die Republik steht viel auf dem Spiel: Neben jener Klage, die am Freitag verhandelt wurde, liegen laut Verbraucherschutzverein (VSV), der im Namen der Betroffenen klagt, 15 weitere Klagen bei Gericht. Obmann Peter Kolba rechnet zusätzlich mit mehreren Sammelklagen und bis zu 3.000 Ansprüchen. Weil der Sachverhalt derart "komplex" sei, wollte man am Freitag keine Behauptungen der Kläger außer Streit stellen.

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Die Republik geht davon aus, dass sie nach dem Epidemiegesetz nicht verpflichtet sei, individuelle Personen zu schützen, sondern die Allgemeinheit. Außerdem sei die Interessenabwägung, die im Zuge der Maßnahmen in Ischgl stattfand, aus damaliger Sicht vertretbar gewesen. Anders sehen es die Kläger: Bundes-, Landes- und Bezirksbehörden hätten schuldhaft zu langsam gehandelt und Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus verhindert, die sie hätten setzen müssen.

2.000 Ischgl-Urlauber als Zeugen beantragt

Im Versuch, dies zu beweisen, trug Klägeranwalt Alexander Klauser eine Vielzahl an Fragen vor, die auf die Motivation der damals handelnden Verantwortlichen abzielen. Konkret ging es um Behördenversäumnisse, die bereits medial bekannt sind, und die "folgenreichen Fehleinschätzungen", die bereits die Tiroler Ischgl-Kommission festgestellt hat. Etwa die Kommunikation innerhalb der Tiroler Landesbehörden rund um die Landespresseaussendung vom 5. März 2020. Darin wurde behauptet, dass sich infizierte Isländer nicht in Ischgl, sondern im Flugzeug angesteckt hätten. Tatsächlich war den Behörden bereits vor der Aussendung bekannt, dass es sich hierbei um eine Falschbehauptung handle, so die Ischgl-Kommission. Diese Vorbringen der Kläger kommentierte ein Republiksvertreter als "Tanz für die Medienvertreter".

Sollte Richterin Catrin Aigner eine Pflichtverletzung feststellen, obliegt es den Klägern, eine Kausalität zum entstandenen Schaden der Betroffenen herzustellen. Das heißt konkret, es brauche Beweise, wonach sich Schopf in Ischgl und nicht etwa erst danach angesteckt habe. Dafür legt Klauser eine Liste mit rund 2.000 möglichen Zeuginnen und Zeugen vor, die sich in Ischgl infizierten.

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Interessanter hätten die anderen Zeugenanträge werden können, die quasi alle zuständigen Behördenvertreter von Landeck bis Wien betreffen. Unter Wahrheitspflicht hätten daher auch Bundeskanzler Sebastian Kurz, Innenministern Karl Nehammer (beide ÖVP), Ex-Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne), Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) und etliche Landesbedienstete aussagen müssen. Die Kläger wollten so Lücken in der Causa schließen – etwa von Sitzungen aus Krisengremien, von denen keine offiziellen Protokolle existieren, oder den fraglichen Hintergrund manch interner E-Mails zwischen den Tiroler Behörden. In diesen wurde beraten, wie man "Ischgl aus dem Schussfeld" bekommen könnte.

Weitere Verfahren Ende September

Höchstwahrscheinlich wird es aber zu keiner dieser Aussagen kommen, zumindest nicht in erster Instanz. Das Gericht schloss die Verhandlung am Freitag ohne Beweisverfahren. Aus Sicht der Richterin hat sie für die Rechtsfrage, ob überhaupt ein Anspruch nach dem Epidemiegesetz bestehe, genügend Unterlagen. Das Urteil wird schriftlich ergehen.

Der Kläger rügte diese Feststellung umgehend als Verfahrensmangel. Anwalt Klauser verweist auf die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Innsbruck. Nach rund 18 Monaten Ermittlungen liegt der Vorhabensbericht der Anklagebehörde beim Justizministerium. Man müsse zumindest auf die Entscheidung des Ministeriums warten, ob Anklage gegen die fünf Personen erhoben werde oder nicht, forderte Klauser. Die Republik sah naturgemäß keinen Zusammenhang zwischen den strafrechtlichen Vorwürfen und dem Prozessgegenstand.

Die nächsten Verhandlungen in der Causa finden bereits Ende September statt. Dort wird es um Schadenersatzansprüche von Hinterbliebenen eines verstorbenen deutschen Staatsbürgers gehen, und in einem weiteren Verfahren werden Ansprüche eines deutschen Ischgl-Urlaubers verhandelt, der aufgrund von Long Covid seinen Beruf nicht mehr ausüben kann. (Laurin Lorenz, Michael Möseneder, 17.9.2021)