In einer fernen Zukunft haben Katastrophen die Menschheit unter die Erde vertrieben. Dort leben die Menschen in kleinen Gemeinschaften, schürfen nach Salz und anderen wertvollen Rohstoffen und wissen wenig von der Welt da oben.

Dass diese dörfliche Idylle nur der Ausgangspunkt eines epischen Abenteuers an die Erdoberfläche sein wird, macht schon der Titel klar: Eastward trägt den Aufbruch schon im Namen. Das Action-Adventure eines zehnköpfigen chinesischen Entwicklerstudios zeigt in seinen über 35 Spielstunden eine liebevoll detaillierte Pixelwelt, die nicht nur optisch an die großen Kultspiele der 16- und 32-Bit-Ära erinnert. Die frühen 2D-Zeldas drängen sich als Vergleich auf, aber auch das Kult-JRPG Earthbound ist in seiner DNA überdeutlich, und auch der moderne Klassiker Undertale ist als Inspiration nicht zu leugnen.

Nintendo

Der mindestens ebenso bedeutsame Einfluss des japanischen Animationsstudios Ghibli wird schon ganz zu Beginn augenzwinkernd eingestanden, und so wie in dessen Filmen verbindet sich auch hier das Fantastische mit menschlicher Wärme und einem gelegentlichen Schuss düsterer Melancholie.

Gemeinsam auf Wanderschaft

Was Eastward besonders macht, sind vor allem seine Charaktere, von witzigen NPCs angefangen bis hin zu den zwei Hauptfiguren. Die beiden zentralen Helden steuern wir dabei gemeinsam, auf Knopfdruck können wir zwischen ihnen wechseln. Der wortkarge Minenarbeiter John ist in diesem Duo fürs Grobe zuständig und rückt Monstern unter anderem mit Bratpfanne und Bomben zu Leibe, kann aber auch unterstützende Mahlzeiten kochen, das Mädchen Sam sorgt mit Energiestrahlen für Licht und Unterstützung aus der Distanz und erledigt die zahlreichen Gespräche.

Foto: Pixpil/Chucklefish

In stets abwechslungsreich bleibenden Puzzles müssen wir das Duo mal zu zweit, mal getrennt mit Köpfchen voranbringen. Auch der Kampf steigert sich vom simplen Draufhauen zu taktischeren Manövern, vor allem in den stets originellen Bosskämpfen, die jeweils neue Herausforderungen bergen. Die Abenteuer, die die beiden erleben, gehen aber weit über diese schnöde spielmechanische Arbeitsteilung hinaus: So viel Liebe zu seinen Figuren und seiner Welt wie hier hat man selten gesehen.

Nur nicht stressen!

Besonders eilig sollte man es dabei aber nicht haben, denn Eastward lässt sich schon von Anfang an viel Zeit. Bis wir das erste Dorf per Zug verlassen und das Abenteuer so richtig beginnen darf, vergehen schon drei bis vier Spielstunden. Zum Glück sind die voll mit charmanten Dialogen, witzigen Figuren und einer gemächlichen, zum Glück immer unterhaltsamen Einführung in die Spielsysteme.

Foto: Pixpil/Chucklefish

Auch später im Spiel haben Ungeduldige ein wenig zu leiden, denn was in anderen Spielen optionale Nebenmissionen zum Aufpolstern der schicksalsträchtigen Main Quest sind, steht hier im Zentrum. Zum Glück überzeugt Eastward genau hier durch seine liebevolle Gestaltung und viel Abwechslung, und man tut den schrullig-netten Figuren dieser Welt auch gern jeden Gefallen. Dass hin und wieder ein Weg doppelt und dreifach zu laufen ist, macht angesichts der liebevoll gestalteten Kulisse nicht allzu viel aus.

Nur im letzten Viertel des Spiels schwächelt die spannend erzählte, zunehmend ins Wirre kippende Story ein wenig – ein kleiner Makel, den man aber angesichts der großen Qualität des restlichen Spiels nicht übelnehmen mag.

Fazit

Eastward ist ein Spiel, das dank außergewöhnlicher Details, moderner Beleuchtungseffekte und vor allem wunderbarer Animation auch weniger Pixelart-affinen Spielerinnen und Spielern gefallen kann. Immer wieder überrascht das chinesische Spiel mit netten Kleinigkeiten und lockert sein eigentlich simples Gameplay vorbildlich mit immer neuen, niemals langweiligen Variationen auf. Die hin und wieder bei ähnlich rückwärts gewandten Indies gepflegte spielerische Härte muss man hier übrigens nicht befürchten: Eastward erfreut mit einem Schwierigkeitsgrad, der auch Einsteigerinnen und Einsteiger zufriedenstellt, ohne gar zu casual zu werden.

Der zentrale Reiz dieses Spiels ist aber eindeutig sein gewaltiger Charme, der nicht unbedingt nur mit Retro-Nostalgie zu erklären ist. In jeder Minute von Eastward spürt man die große Liebe – zu seinen Figuren, zu seinem Genre und den großen Vorbildern, aber auch und vor allem zum Medium Videospiele selbst. Egal, ob man den Klassikern bislang etwas abgewinnen konnte oder nicht: Eastward ist ein großartiges Debütspiel und ein wunderschönes Erlebnis, an das man noch lange mit Zuneigung zurückdenken wird. (Rainer Sigl, 19.9.2021)