Musik in Regenbogenfarben, die perfekte Inszenierung und immer ein bisschen Provokation: Lil Nas X hat’s raus.

Foto: Sony Music

Man möchte meinen, dass es bei einem Debütalbum schon wichtig ist, ob es gut ist oder nicht. Im Falle von Lil Nas X ist es völlig egal. Der 22-Jährige, der heute seinen ersten Longplayer Montero veröffentlichte, war schon davor "too big to fail". 2018 mähte er mit seinem Hit Old Town Road via Tiktok das Internet nieder, er war der erste Künstler, der die Nummer eins der Billboard-Charts belegte und sich als schwul outete, gewann zwei Grammys, twerkte in seinem Video zur Single Montero (Call Me By Your Name) auf dem Schoße des Teufels (Skandal!), verkaufte blutige Schuhe (Skandal!) und wurde von Nike geklagt, tanzte nackig in seinem Gefängnisvideo zu Industry Baby (Skandal!) und ließ sich zuletzt mit Babybauch ablichten, weil er nämlich mit seinem Debütalbum "schwanger" war.

Lil Nas X hat für sich eine Antwort auf Herbert Grönemeyers große Frage, wann ein Mann ein Mann sei, gefunden. Seine Form der Virilität, sein Männlichkeitsbild ist durch seine Präsenz fraglos massentauglicher geworden.

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Die virale Welle surfen

Lil Nas X ist zuerst einmal Internetphänomen, dann erst Musiker. Er gehört zu einer Generation von Do-it-yourself-Gesamtkünstlern, die ganz genau auf das Zusammenspiel von Œuvre und Selbstinszenierung, auf Storytelling mit einer Prise Provokation achten. Lil Nas X hat außerdem durchschaut, wie man nicht nur punktuell viral geht, sondern auf dieser Welle dahinsurft.

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Die kann jederzeit brechen – irgendwann kann man sich selbst nicht mehr toppen, vor allem, wenn jede Woche ein neuer Aufreger hermuss, aber noch hat Lil Nas X alles im Griff. Er ist der unbestrittene Popstar der Stunde, weil er die beste Geschichte zu erzählen hat. Vom Teenie, der versuchte seine Homosexualität wegzubeten, zur queeren, schwarzen Ikone. Vom Outsider zum Tonangeber im Mainstream. Dieses Album wird sich richtig gut verkaufen.

Und auch wenn es eigentlich egal ist – es ist ein ziemlich guter Longplayer geworden, eine Liebeserklärung an Mainstream-Pop, die unironische große Geste. Man nehme catchy Melodien, bediene sich quer durch den Genregemüsegarten, engagiere Topproduzenten, singe vom Coming of Age, den Leiden des gemobbten Teenies, der von heute auf morgen zum Superstar wird, und treibe das alles bunt und quirlig auf die Spitze. Daraus zimmern sich die Popbretter fast von selbst. Dann versehe man es noch mit der amerikanischsten aller Botschaften: "Ich habe es geschafft, also ihr könnt es auch schaffen."

Durchschaubar, aber spaßig

Obwohl das alles wahnsinnig durchschaubar ist, macht es richtig Spaß. Schon Vorabsingles wie Montero (Call Me By Your Name) mit der campen Flamenco-Gitarre und den synkopierten Handclaps oder Industry Baby mit den gesampelten Bläsern waren Ohrwürmer, auch die trappige Kollaboration mit einer anderen Tiktok-Größe, der Rapperin Doja Cat, namens Scoop brennt sich in ihrer dämlichen Einfachheit sofort in die Gehörgänge ein.

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Für die sehr gelungene Ballade Am I Dreaming teilt sich Lil Nas X das Mikro mit Miley Cyrus, auf dem schaurig-schönen Life After Salem tragen die Rockgitarren Trauer. Sogar Sir Elton John schaut auf dem Album vorbei, hinterlässt darauf aber keinen bleibenden Eindruck. Lil Nas X lässt sich auf seinem eigenen Album eben nicht übertrumpfen. Gut so. (Amira Ben Saoud, 18.9.2021)