Ein wenig waren wir damals so wie die Kids aus der Netflix-Serie "Stranger Things". Aber halt ohne Dämonen.

Foto: Netflix

Die Welt, in welcher der erste Teil von Jagged Alliance erschien, war eine gänzlich andere als die heutige. Es war das Jahr 1995, also lange vor Corona, 9/11 oder vor der globalen Finanzkrise. Der Kalte Krieg war vorbei, Dance-Hits von DJ Bobo und Scooter dominierten die Charts – das war vor allem für die coolen Kids ein wichtiges Thema. Die Nerds hingegen mussten damals noch ohne weit verbreitetes World Wide Web auskommen und trafen sich stattdessen nachmittags bei Freunden, um trotz schönen Sommerwetters die neuesten Gaming-Hits auf den MS-DOS-Rechnern ihrer Eltern zu zocken. Meistens spielte dabei nur einer, und die anderen schauten zu.

Ich war einer dieser Jungs, und ich erinnere mich mit einem wohlig-warmen Gefühl an diese vergleichsweise sorglose Zeit zurück. Kaum waren die Hausaufgaben damals erledigt, schwang ich mich auf mein Fahrrad, um mit Tim und Thomas gemeinsam in jene Welt einzutauchen, in der wir mit einem kleinen Söldnertrupp einen fiktiven südamerikanischen Schurkenstaat aus den Fängen eines Diktators befreiten. Von der Kubakrise hatten wir damals noch nichts gehört – aber wir lernten schnell, wie man in einem Team einzelne Mitglieder passend zu ihren individuellen Fähigkeiten einsetzt. Das war das Kernelement dieses rundenbasierten Strategiespiels, welches quasi als Antithese zu Echtzeit-Hits wie Warcraft (1994) und Command & Conquer (1995) fungierte.

Ein stilles Scheitern

Mit Jagged Alliance 2 folgte im Jahr 1999 eine Fortsetzung, die bei Fans und Kritikern in etwa ebenso gut ankam – kein Wunder, denn das erfolgreiche Gameplay des ersten Teils wurde größtenteils wiederholt. Danach wurde es eher still rund um die fiktive Söldnertruppe. Zwar wurde der zweite Teil der Reihe im Jahr 2010 mit dem Remake Jagged Alliance: Back in Action neu aufgelegt und unter andrem mit Jagged Alliance: Rage im Jahr 2018 ein neuer Anlauf gestartet – letzterer erreichte auf der Plattform Metacritic jedoch nur 54 von 100 möglichen Punkten, kann also getrost als Flop bezeichnet werden. Und ehrlich gesagt habe ich noch nicht einmal mitbekommen, dass dieses Spiel überhaupt existiert. Es ist mir erst im Rahmen meiner Recherchen für diese Kolumne entgegen gesprungen.

Silencer

Das Jagged Alliance-Franchise ereilte somit ein ähnliches Schicksal wie andere Kultspiele aus dem vergangenen Jahrhundert, etwa die Monkey Island-Reihe: Auch hier wurde halbherzig versucht, ein einst erfolgreiches Konzept am Leben zu erhalten, was jedoch kläglich scheiterte. Zugleich unterscheidet sich Jagged Alliance von Monkey Island dadurch, dass die Flops nicht so spektakulär waren, die Spiele keinen so starken Vorab-Hype erlebten, die Enttäuschung also nicht so groß war. Jagged Alliance scheiterte einfach im Stillen vor sich hin.

Hier kommt der dritte Teil

Bis gestern, als THQ Nordic im Rahmen eines Showcase überraschend den dritten Teil der Reihe ankündigten – mit einem spaßigen Trailer, der auch erste Einblicke in das Gameplay zeigt. Und mit der begleitenden Aktion, dass der kultige erste erste Teil des Spiels für kurze Zeit auf der Plattform Steam gratis verfügbar ist.

THQ Nordic

Freilich konnten wir als Games-Redaktion den Trailer vorab sehen. Und ich lüge nicht, wenn ich hier schreibe: Nach der Durchsicht bin ich von meinem Schreibtischsessel aufgesprungen, ins Wohnzimmer gerannt und habe meiner geliebten Ehefrau fingernägel-kauend erzählt, dass sie mich demnächst weniger oft zu Gesicht bekommen wird... weil: Jagged Alliance! Die Antwort darauf: ein entgeisterter Blick und die Frage, wer denn bitteschön dieser "Jack The Lions" sei. Banausin.

Wunschdenken und Nostalgie

Es ist schwer zu sagen, warum der Trailer diese Reaktion in mir hervorgerufen hat. Ist es schlichtweg die Hoffnung auf einen Lichtblick am Ende des Tunnels nach einem vergleichsweise öden Gaming-Jahr? Oder ist es mehrt als das?

Vermutlich klopft einfach der kleine Junge wieder in meinem Kopf an und erinnert mich an die zahlreichen schönen Stunden, die ich in einer Welt vor 9/11 und Covid-19 mit Tim und Thomas verbracht habe. Gemischt mit einer Vorfreude auf ein Wiedersehen mit den kultigen Charakteren Fidel und Ivan, die uns damals schon so oft zum Lachen gebracht hatten. Das alles nun in einer Zeit, in der wir viel zu selten einfach nur Spaß haben.

Meine Bitte daher an THQ Nordic und das Entwicklerstudio Haemimont Games: Bitte versemmelt diese Neuauflage nicht. Bitte kein Abo-Zwang, keine In-App-Purchases und nichts von dem sonstigen Kram, der die Gamingbranche derzeit teilweise unerträglich macht. Ich habe leider schon so viele andere Franchises – von Monkey Island bis Star Wars – scheitern sehen müssen. Wenigstens mit Jagged Alliance möchte ich nun ein paar schöne Stunden verbringen können – auch wenn es vermutlich alleine am Home Office-Schreibtisch sein wird anstatt auf dem PC von Tims Eltern. Ganz im Geist der Zeit eben. (Stefan Mey, 18.9.2021)